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Freiheitsmoment in 45 Sekunden: Kim Bui stellt Autobiografie vor

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25 Jahre und 45 Sekunden auf 300 Seiten: Andreas Matlé, Kim Bui und Martina Knief präsentieren das Vermächtnis einer Sportkarriere. © Tabea Isabelle Karb

Es sind 45 Sekunden, die ein Ende, einen Anfang und alles dazwischen symbolisieren. Die Ex-Turnerin Kim Bui und Andreas Matlé stellen die bewegende Autobiografie der Olympia-Athletin- bei »Büdingen Belesen« vor.

Besucher von »Büdingen Belesen« kennen Andreas Matlé normalerweise als Ovag-Pressechef und Organisator der Veranstaltung, doch hat er am Donnerstagabend in einer ganz anderen Funktion begrüßt, nämlich als Autor.

An seiner Seite die Olympia-Teilnehmerin und Deutsche Meisterin Kim Bui, deren Leben und Karriere in der Autobiografie »45 Sekunden. Meine Leidenschaft fürs Turnen - und warum es nicht alles im Leben ist« detailreich aufgearbeitet wird. Der Abend, moderiert von Martina Knief, bot einen 90-minütigen Einblick in dieses facettenreiche Leben.

Betrachtet man den Lebenslauf der Turnerin, so findet man Jahrzehnte gefüllt mit Leistungssport, Wettkämpfen und großen Errungenschaften: Teilnahmen an drei olympischen Spielen, eine Vielzahl an Europa- und Weltmeisterschaften, Titel und Medaillen.

Dennoch, so erklärt sie, waren es die 45 Sekunden ihres letzten Wettkampfs bei der EM 2022 in München, die sie auf eine besondere Weise auszeichnen.

Nach 25 Jahren auf der Jagd nach Anerkennung im Leistungssport, als Repräsentantin für andere, habe sie sich in diesem Moment zum ersten Mal ganz bei sich gefühlt.

Die letzten 45 Sekunden seien für sie selbst gewesen, ein kurzer Augenblick, in dem nur sie und ihr Körper existierte. Dieser letzte Gang zum Stufenbarren im August 2022 wird lebhaft und einfühlsam von Andreas Matlé in der Autobiografie beschrieben.

Herausforderung an eigenen Körper

Als Kim Bui diesen Abschnitt des Buches vorlas, spürte man die Intensität des Erlebnisses - sowohl auf Ebene der körperlichen Höchstleistung, die illustriert wurde, aber auch vor allem auf einer emotionalen Ebene, die damit eng verbunden wirkte.

Leistungssport ist eine Herausforderung an den eigenen Körper. Kim Bui fasste es zusammen als ein »über sich selbst Staunen« und scherzte, dass ein Neandertaler sich wohl nur am Kopf kratzen würde, wenn er die fast unnatürlichen Bewegungen sähe, die sie in ihrem Sport ausführt.

Dieser Adrenalinkick löse bei ihr das Gefühl »Ich turne, also bin ich« aus, lasse sie Herrin des eigenen Körpers sein. Trotzdem sei man »nackt im Scheinwerferlicht« - der eigene Körper stehe stets unter Beobachtung, sei Kritik und Wertung ausgesetzt.

Wertungen, über die Platzierung, die »nicht gut genug« sei, aber auch über den Körper, der nicht perfekt sei.

Gerade diese Wertungen sind es, die Andreas Matlé und Kim Bui in ihrem Buch ansprechen. Während ihrer Teilnahme bei den olympischen Spielen in Tokio 2021 erstellte Kim Bui einen Instagram-Post, in dem sie stolz berichtet den 17. Platz im Finale ihrer Disziplin erreicht zu haben.

»Das Statement zeigt Selbstbewusstsein«, erklärte Matlé und betonte, »Sie ist damit die 17.-beste Turnerin der Welt.«

Kim Bui berichtete von einem strikten Trainingsplan und dementsprechend vielen Entbehrungen, die sie für ihre Karriere machen musste, um stets in Topform zu sein. »Wenn ich was mache, dann muss es 100-prozentig oder 120-prozentig sein,« erklärte sie.

Gefühle von Scham und Einsamkeit

Der Leistungsdruck habe auch ihr Verhältnis zu ihrem Körper beeinflusst. In ihrer Autobiografie offenbart sie, wie sie jahrelang mit einer Essstörung lebte. Gefühle von Scham und Einsamkeit belasteten sie, bis sie durch den Austausch mit einer Bekannten die Worte gefunden habe, über dieses Thema zu sprechen.

Gemeinsam mit Andreas Matlé wurden diese nun in ihrem Buch niedergeschrieben, auch um anderen Betroffenen zu helfen. Viel mehr noch schaffte es das Duo behaftete Themen mit Humor und Charme darzustellen.

So las man einen Abschnitt vor, in dem ein Berliner Taxifahrer Kim Bui mit der Herkunftsfrage konfrontierte und nie so recht akzeptieren wollte, dass die Antwort darauf stets »Ich komme aus Deutschland« blieb.

Der Berliner Taxifahrer, das Thema Rassismus und die ganz individuell zu beantwortende Frage des Selbstverständnisses zu Herkunft und Kultur brachten das Publikum zum Lachen - so unangemessen das auch klingen mag.

Kim Buis Erfahrungen und Andreas Matlés Schreibstil ergänzten sich, um das facettenreiche Leben der Athletin seelenvoll darzustellen. Dass dies gelang, war nicht zuletzt an der langen Schlange zu erkennen, die nach der Lesung auf Kim Bui und eine Signatur von ihr wartete.

»Es ist meine Geschichte und ich stehe voll dahinter,« sagte sie über das Buch, mit dem wohl auch ein Kapitel ihres Lebens endet. Die 45 Sekunden stünden für Freiheit - kein Druck mehr in Topform zu sein und sich an einen Trainingsplan zu halten.

Info: Neues Programm

Die Lesungsreihe »Büdingen belesen« wird bereits seit zwölf Jahren veranstaltet. Die Lesung mit Kim Bui beendet die erste Hälfte des Jahresprogramms. Fortgesetzt wird die Reihe im September mit monatlichen Lesungen.

Ein entsprechendes Programm soll im Juli veröffentlicht werden. Bereits bekannte Gäste sind Kabarettist Vince Ebert sowie Daniel Krug, der aus den posthum veröffentlichten Tagebüchern seines Vaters Manfred Krug lesen wird.

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