„Räumen Sie den Saftladen auf“
Sehr früh aufstehen müssen all jene Menschen, die ohne deutschen Pass in der Wetterau leben und eine Unterschrift der Ausländerbehörde brauchen. Ab sechs Uhr habe man keine Chance mehr auf eine der etwa 50 Wartenummern, sagte ein Teilnehmer gestern Nachmittag während eines Protestzuges über die Kaiserstraße. Viele weitere Probleme mit der Behörde nannten die etwa 150 Demonstranten.
Von der Friedberger Burg bis zum Landratsamt am Europaplatz zogen gestern Betroffene und Flüchtlingshelfer. Sie gingen auf die Straße, weil sie den Umgang der Ausländerbehörde mit ihren Kunden schikanös finden. Bei der Kundgebung vor dem Landratsamt machten sie dem Ersten Kreisbeigeordneten Jan Weckler (CDU) gestern klare Ansagen. „Die Leitung der Ausländerbehörde hat kläglich versagt und gehört in den Ruhestand geschickt!“, forderte Johannes Hartmann vom Internationalen Zentrum.
Der Dezernent Jan Weckler müsse „endlich mal Verantwortung übernehmen“, meinte auch die Flüchtlingshelferin Andrea Gerstenberg aus Ortenberg-Selters. „Räumen Sie den Saftladen in der Behörde auf – daran werden Sie gemessen und dann auch am Sonntag von uns Bürgern gewählt.“ Dass das für rund 39 000 Wetterauer ohne deutschen Pass zuständige Amt den Namen „Willkommensbehörde“ trägt, nannte die Mitarbeiterin einer Unterkunft für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge „einen bösen Zynismus“. Sie sagte: „Wir erleben, wie unsere Schützlinge unter der Behandlung durch die Ausländerbehörde leiden. Sie erleben Missachtung und Rassismus.“
Nicht die Sachbearbeiter, sondern die Chefs der Ausländerbehörde legen nach Ansicht der Demonstranten ihren Kunden nach Kräften Steine in den Weg. Der Mitarbeiter einer Flüchtlingsunterkunft nannte die Namen der drei Spitzenbeamten, die laut Johannes Hartmann seit über 30 Jahren zuständig sind und Ausländer eher als Bedrohung denn als Bereicherung empfänden. „Sie sind unfähig, diese Behörde zu leiten“, so der Redner.
Weckler: Große Baustelle
Der zuständige Dezernent und Landratskandidat Jan Weckler stand im Publikum und hörte sich die heftige Kritik an. Dann stieg er auf die Treppe. „Die Ausländerbehörde ist eine ganz große Baustelle“, räumte er ein. „Wir werden daran arbeiten, dass es wieder besser wird. In jeder Behörde werden Fehler gemacht. Aber wenn ihr Willkür und Rassismus vorgeworfen wird, dann verwehre ich mich dagegen ganz deutlich.“ Es gebe leider zu wenig Personal. Und die Einarbeitung neuer Leute in die komplizierte Materie dauere lange.
Hausgemachte Probleme
Die Behörde mache sich selbst unnötige Arbeit, meinten etliche Kundgebungs-Teilnehmer. Für Flüchtlinge aus Afghanistan werde oft die Aufenthaltserlaubnis nur für drei oder sechs Monate ausgestellt, erzählte die Bad Vilbeler Anwältin Annette Schlenke. Das versetze die Menschen in Angst, danach abgeschoben zu werden. Die Behörde müsse sie nicht immer wieder einbestellen, sondern könne die Gestattung ohne Ablaufdatum in den Ausweis schreiben. Sie sei ja jederzeit widerrufbar.
„Den Großteil ihrer Arbeit macht sich die Ausländerbehörde selber“, befand auch der Bad Vilbeler Flüchtlingshelfer und Grünen-Stadtverordnete Clemens Breest. Er berichtete von einem Altenpflege-Lehrling, den die Behörde zum Abbruch der Lehre zwang, obwohl er noch im Asylverfahren stecke. „Die Integration dieser Menschen wird aus der Behörde heraus torpediert“, sagte Breest. Sie zwinge die Flüchtlinge außerdem, in den Botschaften oder Konsulaten ihres Heimatlandes neue Ausweise zu beantragen. Das könne für die daheimgebliebenen Angehörigen gefährlich werden.
Der Büdinger Flüchtlingshelfer Reiner Bajus erzählte, dass er bislang achtmal in aller Frühe seine Schützlinge nach Friedberg gefahren habe. Denn wer auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sei, müsse um 4.12 Uhr von Büdingen nach Gelnhausen fahren, dann mit dem Zug nach Frankfurt-Süd und schließlich mit der S6 nach Friedberg. Dann erreiche man kurz vor halb sieben das Landratsamt – zu spät, um noch eine aussichtsreiche Wartenummer zu ziehen.
Jan Weckler machte nur wenige Hoffnung auf Besserung. Perspektivisch könne die Ausländerbehörde an einzelnen Wochentagen Termine in Büdingen vergeben, sagte er. Kurzfristig würde das die Kapazitäten aber nur schmälern, weil die Sachbearbeiter die Akten transportieren müssten. Nur 3 von 21 hessischen Ausländerbehörden hätten Außenstellen, so Weckler. Ärger machen nicht nur die langen Wege. Andrea Gerstenberg aus Selters erzählte von einem seit Dezember auf dem Sofa von Verwandten nächtigenden Flüchtlingspaar aus Syrien in ihrer Nachbarschaft. Die Ausländerbehörde ignoriere diese Menschen. „Du kannst auf der Straße schlafen oder verhungern – das geht die alle nichts an!“, empörte sich die Helferin.