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Adipositas: Wetterauer berichtet über seinen Leidensweg

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Von: Christoph Agel

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Andreas Klingenhöfer, dem Initiator der Selbsthilfegruppe, sieht man nicht an, dass auch er unter Adipositas und den Folgen gelitten hat, doch der Weg ist schwierig gewesen. © Nicole Merz

Andreas Klingenhöfer und seine Frau haben einen Leidensweg mit Adipositas hinter sich und wollen anderen Betroffenen helfen. Am 13. Januar 2023 startet in Friedberg eine Selbsthilfegruppe.

Die 125 Kilo, die der 1,70 Meter große Andreas Klingenhöfer zu Spitzenzeiten auf die Waage gebracht hat, haben körperliche und psychische Komponenten. Die körperlichen liegen auf der Hand: Die Figur, der hohe Blutdruck, die beiden Stents, die ihm 2011 gesetzt werden mussten, weil zwei Arterien verengt waren, die fehlende Kondition. Doch die Leidensgeschichte des heute 54-jährigen Butzbachers hat auch eine seelische Seite. Über beides hat der Sicherheitsmitarbeiter mit dieser Zeitung gesprochen - wenige Tage vor dem ersten Zusammentreffen der von ihm initiierten Selbsthilfegruppe, die am morgigen Freitag in Friedberg starten wird.

Klingenhöfer hat heute eine ganz normale Figur. Zu verdanken hat er dies diversen Eingriffen. Eine Operation sei ein Hilfsmittel, doch man müsse danach ein Leben lang Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen, sagt Klingenhöfer. »Mir ist die Aufklärung zu wenig«, beklagt der Butzbacher. Deshalb möchten er und seine Frau Michaela ihr Wissen in der Gruppe weitergeben. »Viele haben auch den Glauben: Ich lass mich jetzt operieren, und damit ist alles gut.«

Massive Komplikationen

Dass es so einfach nicht ist, hat der gebürtige Friedberger am eigenen Leib erfahren. Vor der Entscheidung, sich operieren zu lassen, hatte er an der Ernährung geschraubt und das Fitnessstudio besucht. »Aber ich bin ein Typ, der schnell resigniert«, sagt der Butzbacher. Er habe nicht so das Durchhaltevermögen gehabt. 2018 bekam Klingenhöfer einen Schlauchmagen, sein Magen wurde auf 70 Milliliter Fassungsvermögen verkleinert. Innerhalb von weniger als eineinhalb Jahren habe er 35 Kilo abgenommen. Alles lief gut - bis Mitte 2020: »Immer nach dem Essen hatte ich Schweißausbrüche, eine laufende Nase, habe auf verschiedene Essen reagiert, mir wurde übel.« Diagnose: Zwerchfellbruch. Wegen der Pandemie musste die OP verschoben werden, Ende April 2021 war es dann so weit. »Da waren die Nebenwirkungen erst mal okay, doch relativ schnell fing das Ganze wieder an«, blickt der 54-Jährige zurück. Ende 2021 wurde festgestellt, dass das Zwerchfell erneut gebrochen war. Klingenhöfer hatte mit einem Reflux zu kämpfen, bei dem Magensaft in die Speiseröhre steigt. Im Oktober 2022 bekam er einen Magenbypass, doch nach drei Wochen folgte der nächste Reflux. Eine Magenspiegelung brachte ans Licht, dass sich etwas von der Naht gelöst hatte. »Das Essen hat quasi vor einer Mauer gestanden und konnte nicht oder nur ganz langsam durchrutschen«, sagt Klingenhöfer. Fünf Tage später hatte er heftige Schmerzen: Er kam in eine Klinik nach Offenbach, wo zwei Nierensteine entdeckt wurden. Noch am Abend wurde der Bypass repariert, nun sorgen »nur noch« die Nierensteine für Unfrieden.

Frust stieg, als es im Job nicht lief

»Ich war schon als Kind moppelig«, sagt Klingenhöfer. Das Erbliche spiele zwar eine Rolle, er sieht aber vor allem wiederholtes berufliches Scheitern und - aufgearbeitet in einer Psychotherapie - Probleme in der Kindheit als Ursachen für seine Adipositas-Erkrankung.

Später, nach dem Tod seiner Eltern, war er plötzlich allein. Im Job lief es nicht, der Frust stieg - und mit ihm das Gewicht. »Ich war nie ein Typ, der zu Alkohol gegriffen hat, ich war immer so bei Süßigkeiten und Cola. Das war mein Überlebenskampf«, sagt Klingenhöfer.

2008 lernte er seine spätere Frau kennen. Beide wollten die Prüfung für den Sicherheitsdienst am Flughafen ablegen. Sie schaffte es, er nicht. Sie hatte Schichtdienst, er war zu Hause. Seine Frau habe ihm gesagt, sie könne ihn nicht aus seinem Loch herausholen, er brauche professionelle Hilfe. Die fand der Butzbacher dann schließlich in einer Psychotherapie.

Er sieht auch Konsumgesellschaft in der Verantwortung

Jetzt wollen er und seine Frau Michaela - auch sie hat einen Adipositas-Leidensweg hinter sich - anderen Betroffenen helfen, mit ihnen ins Gespräch kommen. Klingenhöfer sieht aber auch die Konsumgesellschaft in der Verantwortung. Da werde noch zu wenig getan. Gerade in Restaurants bekomme man kaum kleine Portionen wie zum Beispiel einen Kinder- beziehungsweise einen Seniorenteller. Und manchmal stünden seine Frau und er im Supermarkt vor den Regalen und wüssten nicht, was sie einkaufen und essen sollten, sagt Andreas Klingenhöfer. »Dieses Überangebot ist eine Entwicklung, die für mich persönlich schlimm ist. Eigentlich ist es auch kein Wunder, dass viele adipös sind.«

Die Selbsthilfegruppe

Im Jahr 2015 sind Andreas Klingenhöfer und seine Frau zufällig auf den Adipositas-Stammtisch in Friedberg aufmerksam geworden. Viele der Teilnehmer hätten eine Magen-OP hinter sich gehabt. Für seine Frau und ihn sei nach dem Aus für den Stammtisch schnell klar gewesen, ein neues Angebot schaffen zu wollen. Am morgigen Freitag um 18 Uhr findet in Friedberg das erste Treffen der Selbsthilfegruppe statt. Interessenten werden gebeten, sich unter Tel. 0 60 33/4 11 56 74 oder per E-Mail an adipositas.shg.wetterau@gmail.com anzumelden. Dann erfährt man auch den genauen Treffpunkt.

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