Als Andreas Maier fortging, um literarisch heimzukehren

Fremdheit - was ist das? Antworten liefert die Sommer-Uni in der Friedberger Stadtkirche. Zum Auftakt sprach der Schriftsteller Andreas Maier über Heimat und die Entfremdung davon.
Der Altarraum der Friedberger Stadtkirche mag ein besonderer Ort für wissenschaftliche Vorträge sein, den regelmäßigen Besucherinnen und Besuchern der Friedberger Sommer-Uni ist er seit 14 Jahren vertraut und somit alles andere als fremd. Auf Besucher aus anderen Kulturkreisen aber dürften die bunten Glasfenster und das hohe Sakramentshaus durchaus fremd wirken. Doch wie genau wirkt diese Fremdheit? Wo taucht sie auf? Was macht sie mit uns und wie begegnen wir ihr? Es ist ein vielfältiges Thema, das hier an sechs Terminen beleuchtet werden soll.
»Wir möchten Impulse setzen, um über unser eigenes Bild von Fremdheit nachzudenken«, sagte Pfarrerin Claudia Ginkel bei der Begrüßung der rund 100 Gäste im Namen der Veranstalter - dies sind Förderverein Stadtkirche, Evangelische Kirchengemeinde, »Kultur auf der Spur«, der Geschichtsverein und die Sparkassen-Stiftung als Förderer.
Zum Auftakt lockte der Wetterauer Schriftsteller Andreas Maier knapp 100 Zuhörerinnen und Zuhörern an. »Die Heimat« ist der Titel seines jüngsten Romans, dem neunten in seiner Ortsumgehungsreihe, mit der Maier zum Seismographen seiner eigenen Heimat wurde. Nicht wenige Erschütterungen, von denen er erzählt. Und nicht wenige Episoden, die bei den Lesern durchaus Erschütterung auszulösen vermögen.
Normalerweise bietet die Sommer-Uni wissenschaftliche Vorträge, denen eine Aussprache folgt. Ein Schriftstellergespräch ist ein neues Format in dieser Reihe (und es kommt, am 12. August, ein weiteres neues Format hinzu, ein Dokumentarfilm über Migration). Das Gespräch führte Prof. Peter Schubert mit Einfühlungsvermögen und Sachverstand. Schubert las ein Zitat Maiers vor und wollte von seinem Gast wissen, ob dessen Schreiben über die eigene Heimat eine Bedingung sei, um deren Begrenztheit wahrzunehmen. Muss man in die Ferne, um die vormalige Nähe durchschauen zu können?
Maier erzählte von seinen vielen Ortswechseln, die ihn auch zurück in das Haus seiner Oma nach Bad Nauheim führten. »Nach einer Nacht dort dacht ich: Ich halte das nicht aus.« Das Haus sei von Autolärm umgeben, er aber die Stille an der Usa gewohnt.
Was macht ›Heimat‹ aus?
Im Barbaraviertel in Friedberg wuchs Maier auf. Eine ruhige Ecke, mit Blick auf Bäume und Rübenfelder. Als für Maier feststand, dass er Schriftsteller wird, folgten Stipendien und Auslandsaufenthalte. So gelang es ihm, »seine« Wetterau, die Zeit seines Aufwachsens in Friedberg und Bad Nauheim, in seinen Büchern regelrecht einzukapseln. »Wie in einer Schneekugel.« Dieses Friedberg in der Schneekugel, quasi festgezurrt in der Zeit und ohne weitere Entwicklungsmöglichkeiten, ist Maiers Wetterauer Roman-Universum. Eine »Traum-Landschaft«, über die er in seinen Romanen frei verfügt. »Wenn ich hiergeblieben wäre, würde es dieses Friedberg nicht geben.« Das Schreiben des Ortsumgehungszyklus sei seine Form des Hierbleibens.
Knapp eineinhalb Stunden dauerte das Gespräch, das viele Facetten des Fremdseins aus dem Blickwinkel des Künstlers beleuchtete. Was wäre gewesen, wäre Maier hiergeblieben? Und wo genau wäre das gewesen? Woran macht sich denn der Begriff Heimat fest? An der Herkunft? Aber wessen Vorfahren kommen schon komplett aus Friedberg? Sind da nicht in den Stammbäumen stets ein paar Bayern, Schwaben oder Pfälzer mit dabei? Ein hessischer Name lautet »Meier«, die Schreibweise mit »ai« deutet auf Einflüsse von Außen.
Eine Stadt in der Schneekugel
Maier las während des Gesprächs zwei Textstellen aus einem Essay über das Dableiben. Anhand einer Ockstädter Familie verdeutlichte er, dass wohl nur jene Menschen eine unverbrüchliche Heimat haben, die in, mit und von dieser Heimat leben, sich darüber aber wenige Gedanken machen. Heimat, das wurde im Verlauf des Gesprächs deutlich, ist ständigen Veränderungen unterworfen, nichts Bleibendes, nichts Festes. Es sei denn, man friert diese Heimat in einer Schneekugel ein und leuchtet sie aus. Dann entsteht mitunter große (Heimat-)Literatur. Als das Publikum am Ende des Gesprächs nach Definitionen für ›Heimat‹ fahndete, sagte Maier: »Manchmal nenne ich auch den lieben Gott meine Heimat.« Spätestens da wussten alle, dass der Altarraum der Stadtkirche zwar ein ungewöhnlicher Ort für eine Sommer-Uni ist, aber auch ein durchaus passender.
Änderung im Programm
Die Sommer-Uni in der Stadtkirche Friedberg wird am kommenden Samstag um 17 Uhr fortgesetzt mit einem Vortrag des Frankfurter Archäologen Dr. Matthias Recke über »Darstellungen des Anderen. Zur Rolle des Fremdbildes in der Kunst der griechischen Antike«. Eine Programmänderung hat sich ergeben: Für den 19. August war ein kunsthistorisch-mythologischer Vortrag zum Thema »Europa - Heimat der Fremden« vorgesehen; der Referent musste kurzfristig absagen. Stattdessen wird am 19. August der Kunstdidaktiker Prof. Dr. Dietrich Grünewald über »Fremde Welten. Reisen in Bildgeschichte/Comic« berichten; Grünewald ist ein renommierter Comic-Fachmann.
