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Antifa-BI über Corona-Demos in der Wetterau: „Das macht sie so gefährlich“

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Von: Christoph Agel

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Andreas Balser fordert ein entschlosseneres Vorgehen der Polizei gegen Corona-Demonstranten. Derzeit werde diesen Menschen eine »absolute Narrenfreiheit« zugestanden, was aber nicht sein dürfe.
Andreas Balser fordert ein entschlosseneres Vorgehen der Polizei gegen Corona-Demonstranten. Derzeit werde diesen Menschen eine »absolute Narrenfreiheit« zugestanden, was aber nicht sein dürfe. © Nicole Merz

Die Friedberger Antifa-BI beobachtet Demos in der Wetterau gegen die Corona-Politik genau. Wer läuft da mit? Wie gefährlich ist die Bewegung? Und was wird bleiben, wenn die Pandemie vorbei ist?

Friedberg – Seit Wochen gehen Menschen montags auf die Straße, ziehen in großer Zahl beispielsweise durch Bad Nauheim, um gegen die Corona-Politik der Regierung zu demonstrieren. Wie sehr - neben anderen Teilnehmern - Rechtsextremisten hinter sogenannten Spaziergängen stehen, zeigt sich auch daran, dass die Partei »Der III. Weg« dazu aufruft, an diesen Demonstrationen teilzunehmen. Eine Partei, die für »Antisemitismus und Rassismus sowie das Streben nach einer Gesellschaftsordnung in Anlehnung an den historischen Nationalsozialismus« steht, wie es vonseiten der Bundeszentrale für politische Bildung heißt. Andreas Balser, Sprecher der Friedberger Antifaschistischen Bildungsinitiative (Antifa-BI), wirft eine Blick auf solche Demos in der Wetterau.

Herr Balser, rechnen Sie damit, dass noch mehr Menschen in der Wetterau gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren werden?

Es kommt darauf an, wie sich Polizei und Ordnungsamt aufstellen. Ich denke, die Demonstranten haben ein Potenzial von 1500 bis 2000 Leuten im Wetteraukreis. Da ist noch ein bisschen Wachstum möglich. Andererseits muss man sagen: Das ist eine ganz kleine gesellschaftliche Minderheit, die so spazierfreudig ist. Die absolute Mehrheit steht auf der anderen Seite, Menschen, die nicht so oft rausgehen. Bei den »Querdenkern« muss man auch feststellen, dass sie viel von Demo zu Demo reisen.

Wer läuft bei solchen Demos in der Wetterau mit?

Fangen wir an bei der klassischen rechtsextremen Szene, also im Umfeld von NPD, »Dritter Weg« oder AfD, zieht sich durch esoterische Gruppen, die es schon seit Längerem gibt, durch verunsicherte Menschen, die auch mit angezogen werden, natürlich auch viele Leute aus dem klassischen Bürgertum. Sie eint, dass sie einerseits keinerlei Probleme mit den mitmarschierenden Nazis haben und andererseits keine interne Programmatik entwickeln, außer der Ablehnung der aktuellen Corona-Maßnahmen.

Corona-Demos in der Wetterau: „Auf der Straße extra bürgerlich“

Das heißt?

Wenn diese Gruppe anfangen würde, sich über eine eigene Agenda zu unterhalten, würde sie sich relativ schnell wieder spalten. Was sie aber eint, ist, dass sie die parlamentarische Demokratie ablehnt und aktuell versucht, so eine Art vorrevolutionären Zustand zu konstruieren, also eine sehr deutliche demokratie- und staatsfeindliche Agenda verfolgt. Das macht diese Mischung so gefährlich.

Ist es auf der Straße friedlicher als in Telegram-Chats?

Auf der Straße wird sich extra ein bürgerliches Image gegeben, man sieht aber doch, dass sie, wenn sie auf Menschen mit anderer Meinung stoßen, sehr aggressiv werden, Wenn man in diese Telegram-Chats reinschaut, dann geht es um Verschwörungstheorien, ob McDonald’s Menschenfleisch verkauft oder dass wir durch Nanotechnologie und Radarwellen kontrolliert würden - bis hin zu klassischen rechtsextremen Einstellungen, dass die Bevölkerung ausgetauscht werden solle.

Was ist mit Mitläufern?

Ich gehe davon aus, dass sehr viele Mitläufer dabei sind. Aber die Orga-Gruppen dieser ganzen Kundgebungen sind Leute mit einer gefährlichen Agenda, die in vielen Punkten menschenverachtend ist.

Glauben Sie, der Funke springt in der Wetterau irgendwann von Telegram-Chats auf die Straße über?

Ich denke, dass die Szene im Wetteraukreis irgendwann übergriffig wird, wenn sie meint, es tun zu müssen. Zwar nicht komplett, aber in Teilen darf man das auf keinen Fall unterschätzen.

Corona-Demos in der Wetterau: „Gleiche Regeln für alle“

Sehen Sie die Polizei gut aufgestellt?

Es gibt Polizei und Ordnungsämter, die konsequent vorgehen, auf Recht und Gesetz achten. Was ich im Wetteraukreis sehe, dass die Kundgebungen laufen gelassen werden, ohne dass großartig was passiert, außer dass der Verkehr für die »Querdenker« geregelt wird, das ist ein Fehler. Weil es diesen Gruppen einerseits eine absolute Narrenfreiheit gibt und sie selbst das Gefühl haben, die Polizei kann nichts machen, wir sind zu mächtig, unsere Bewegung wird erfolgreich sein. Andererseits ist es gegenüber der sich an die Regeln haltenden absoluten Mehrheit der Menschen nicht mehr zu vermitteln, warum die so auftreten können, während der Rest auch durch das Verhalten von »Querdenkern« immer mehr Einschränkungen zu befürchten hat.

Die Gegenbewegung

In Bad Nauheim beispielsweise hat sich eine Gegenbewegung organisiert, die ihre Versammlungen anmeldet und montagabends ein Zeichen gegen die Corona-Demo in der Kurstadt setzt. Dahinter stehen insbesondere der Förderverein für Jugendkultur und Jugendarbeit (JUKA e. V.), das Theater Alte Feuerwache und der Ausländerbeirat der Stadt Bad Nauheim. Andreas Balser bewertet es positiv, dass sich in Bad Nauheim und in anderen Orten eine Gegenbewegung gebildet hat: »Ich denke, es ist super wichtig, dass in Bad Nauheim ein breites Bündnis aufsteht, Flagge zeigt und klarmacht, dass das nicht die Stadt der ›Querdenker‹ und Verschwörungserzähler ist, sondern dass es eine demokratische Mehrheit in der Stadt gibt, die Zeichen und irgendwann Grenzen setzt.«

Sollte man Ihrer Ansicht nach also lieber solche Demonstrationen auflösen?

Genau, im Endeffekt muss man dafür sorgen, dass die gleichen Regeln für alle gelten. Die Menschen in Deutschland leiden unter den Corona-Maßnahmen. Wenn man sich jetzt anschaut, dass diese Gruppe exklusiv gesehen sämtliche Rechte brechen, auf Masken, Abstände, Anmeldung verzichten darf, während zum Beispiel wir unsere Gegenkundgebung immer anmelden müssen und Auflagen kriegen, dann kann man das ja niemandem mehr vermitteln. Das ist ein Verhalten, das das Vertrauen in staatliche oder demokratische Strukturen bei vielen Leuten noch weiter untergräbt.

Denken Sie, dass bei dieser Bewegung Corona nur ein Auslöser für etwas ist, das schon die ganze Zeit unter einer Decke geschlummert hat?

Corona war für diese ganze verschwörungstheoretische Szene das Ventil, um eine breite Öffentlichkeit erreichen zu können, weil viele Menschen einfach verunsichert sind. Aber wir hatten in Friedberg zum Beispiel schon den »Querdenker«-Kongress 2015 in der Stadthalle, gegen den wir demonstrierten. Wir haben seit Jahren Ausfälle von bekannten Musikern wie Xavier Naidoo und Co mit Verschwörungserzählungen, und auch den verbindenden Antisemitismus gibt es seit Langem.

Corona-Demos in der Wetterau: „Die Einstellung bei den Leuten wird bleiben“

Glauben Sie, das »Querdenkertum« wird unabhängig von einem Ende der Pandemie bleiben?

Die Einstellung bei den Leuten wird bleiben. Da muss man bildungs- und aufklärungstechnisch immer wieder gegenhalten. Diese ganzen Dinge, die dort geteilt werden, lassen sich auf andere Themen übertragen. Es gibt ja die allgemeine Ablehnung der Medien, es gibt die Narrative, dass das wahre Volk aktuell gar nicht herrschen könne, dass die Polizei gar nicht legitimiert sei, weil die BRD eine Besatzung sei. Diese ganzen Verschwörungserzählungen, die wir jetzt sehen, werden weiterhin existieren.

Was wird verschwinden?

Was wahrscheinlich verloren gehen wird, ist ein Großteil der Mitlaufenden, weil die dann keinen aktuellen Anlass mehr sehen. Sprich wenn Corona erledigt ist, werden sich verunsicherte Menschen nicht irgendeiner Demonstration anschließen. Aber die mit einem geschlossenen Weltbild, und das sind ja sehr viele, die machen natürlich weiter.

Die Antifa-BI

Die Antifaschistische Bildungsinitiative (Antifa-BI) ist ein in Friedberg ansässiger gemeinnütziger Verein, der sich gegen verschiedene Formen der Diskriminierung, etwa Ausländerhass, Homophobie und Antisemitismus, einsetzt. Dazu bietet die Antifa-BI um ihren Sprecher Andreas Balser unter anderem Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen an. Im Jahre 2014 wurde der Verein mit dem Sozialpreis des Wetteraukreises ausgezeichnet.

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