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Auf und Ab der Gefühle

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Stadtkantor Ulrich Seeger spielt an der restaurierten Orgel technisch und interpretatorisch brillant. © Gerhard Kollmer

Friedberg (gk). Sei es der 1614 geborene Franz Tunder als Mitbegründer der Norddeutschen Orgelschule oder sein Schwiegersohn Dietrich Buxtehude als deren bedeutendster Vertreter; sei es Johann Sebastian Bach, den der Lübecker Orgelvirtuose gern als Schwiegersohn und Nachfolger im Amt des Kantors der stolzen Hansestadt gesehen hätte.

Sei es Max Reger, dessen 150. Geburtstags in diesem Jahr gedacht wird; oder sei es der 1877 geborene, von den Nationalsozialisten verfemte und erst seit den 1970er Jahren allmählich wiederentdeckte Sigfrid Karg-Elert:

Friedbergs Stadtkantor Ulrich Seeger zeigt sich den Anforderungen, die die Werke dieser Tonsetzer an den Interpreten stellen, voll gewachsen. Dies bewies er am Sonntagabend mit seinen technisch-interpretatorisch brillanten Darbietungen an der restaurierten Stadtkirchenorgel aufs Neue - zur Freude der versammelten Zuhörerschaft.

Aus Franz Tunders acht erhaltenen Choralfantasien brachte Seeger »Christ lag in Todesbanden« zum Klingen. Der Hörer ist verblüfft über die Expressivität dieses Werks mit »koloriertem« Cantus firmus. Nicht zuletzt durch seinen ausgiebigen Dissonanzgebrauch verweist Tunder auf Buxtehude und den siebzig Jahre jüngeren Bach voraus.

Von Buxtehude erklang dessen Präludium und Fuge d-Moll, BuxWV 140. Auf wenige Eingangstakte folgen ein energischer erster Fugenteil und ein fast pompöses Rezitativ mit kurzem Interludium. Der zweite Fugenteil zeichnet sich u. a. durch schnelle Pedalfiguren aus. Seeger lotet das reizvolle Werk voll aus.

Kein Ton ist überflüssig

Der Schritt vom Lübecker Orgelmeister zu Johann Sebastian Bach, dessen »dorische« Toccata & Fuge (ebenfalls in d-Moll), BWV 538 als nächstes erklang, ist nicht mehr allzu groß. Bachs kurze Toccata im Stil eines Präludiums glänzt mit ihrem durchgängigen Sechzehntelrhythmus, während die Fuge ein Muster an satztechnischer Kunst darstellt. Kein Ton ist hier überflüssig, sondern Teil eines »Kosmos«, in dem nichts dem spontanen Einfall geschuldet ist. Ein bewunderungswürdiges Werk!

Reger, der große Bachverehrer, steht dem Meister (nicht nur) mit seiner von Seeger zu Gehör gebrachten Toccata & Fuge d-Moll/D-Dur aus den Zwölf Stücken, op. 59 von 1901 kaum nach. Schon die ersten Takte der Toccata gehen »durch Mark und Bein«. Technisch anspruchsvolle Läufe und Akkorde (mit eingebauten B-A-C-H-Zitaten) sichern diesem fulminanten Werk die Gunst des Publikums.

Die zweite Konzerthälfte war zwei Choralbearbeitungen Sigfrid Karg-Elerts aus seinen 66 Choral-Improvisationen, op. 65 aus dem Jahr 1909 gewidmet - »Jesus, geh voran« und »Ach, bleib mit deiner Gnade«.

Sie sind Kargs erste Originalkompositionen für Orgel. Davor hatte er ausschließlich Stücke für Kunstharmonium geschrieben. Seine eigenständige Tonsprache changiert zwischen Spätromantik und Expressionismus. Nach 1933 erhielt er von den nationalsozialistischen Kulturbanausen einen Ehrenplatz im berüchtigten »Musikalischen Juden-ABC« neben einigen der bedeutendsten deutschen Tonsetzer wie Gustav Mahler und Arnold Schönberg.

Das Attribut »symphonisch« tragen Karg-Elerts Choralbearbeitungen zu vollem Recht: Es sind Werke mit zuweilen »orchestraler« Klangfülle - so z. B. im zweiten Abschnitt des Chorals »Jesus, geh voran«. Zu den Worten »Soll’s uns hart ergeh’n, lass uns feste steh’n, und auch in den schwersten Tagen niemals über Lasten klagen« erklingen Tonfolgen im fortissimo, die an die Substanz gehen. Unmittelbar danach mündet die Melodie in meditative Stille.

Dieses Auf und Ab der Gefühle hält auch im zweiten Choral an. Er kulminiert furios an der Stelle »Ach, bleib‹ mit deinem Schutze bei uns, du starker Held.«

Der kontrastreiche Abend endet mit lang anhaltendem Beifall für Seegers kongeniale Interpretationen.

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