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Ayleen-Prozess: Chats mit dem späteren Täter

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Zu Beginn der Verhandlung hält sich der Angeklagte, hier mit seinem Verteidiger, einen Aktenordner vors Gesicht. Danach wirkt er weitgehend teilnahmslos. © Christoph Agel

Nacktbilder, Fragen nach Intimrasur und sexuellen Vorlieben, Drohung mit Suizid: Der Inhalt der Chats ist erschreckend. Um sie ging es am Dienstag im Prozess um die getötete 14-jährige Ayleen.

Ganz oft benutzt das Mädchen die Wörter »vielleicht« oder »ich glaube«, sagt immer wieder, sie könne sich nicht erinnern. Zweimal bricht sie in Tränen aus. Weil sie sich eben doch daran erinnert. An zwei Tage chatten mit dem Mann, der später die 14-jährige Ayleen tötete. Sie wurde im Juli 2022 von dem heute 30-Jährigen aus dem Lahn-Dill-Kreis zwischen Cleeberg und Espa getötet. Ihre Leiche wurde im Teufelsee bei Weckesheim gefunden. Das Mädchen, das so oft sagt, dass es sich nicht erinnern würde, ist auch 14. Im November 2022 wurde sie von zwei Polizistinnen zu ihrem Kontakt zum Angeklagten im Ayleen-Fall befragt. Die Vernehmung ist am Dienstag während der Verhandlung vor der fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Gießen gezeigt worden.

Ein perfider Fragebogen

Unter anderem via WhatsApp hatte die damals 13-Jährige wenige Wochen vor Ayleens Tod Kontakt zum Täter. Er nannte sie »Tochter«, sie ihn »Daddy«. Er schickte ihr einen »Sugar-Daddy-Fragebogen«, sie antwortete. Auf Fragen nach Intimrasur, Jungfräulichkeit, sexuellen Vorlieben, Tabus und Sex-Spielzeug. Er wollte Nacktbilder von ihr, sie schickte im welche. Der spätere Angeklagte schlug vor, das Mädchen könne zu ihm ziehen, und drohte mit Suizid, als die 13-Jährige nicht mehr antwortete. Er werde sich von einem Kumpel ein Auto ausleihen - »der nächste Baum gehört mir«. Das alles lief innerhalb von zwei Tagen ab, dann war der Kontakt vorbei. Nicht aber das, was bei dem Mädchen hängen blieb.

»Ich will mich nicht erinnern, ich schäme mich dafür«, sagt die 14-Jährige in der Vernehmung. Die beiden Polizistinnen versuchen, dem Mädchen das Gefühl der Scham zu nehmen. Eine sagt: »Du kannst dich glücklich schätzen, dass du jetzt hier sitzt.« Ayleen konnte nicht mehr vernommen werden.

Immer wieder die Fragen, ob sie sich treffen können

Glücklicherweise sind sich das Mädchen und der Angeklagte nicht in Wirklichkeit begegnet, bei Ayleen war das anders. Der Täter holte sie in Gottenheim bei Freiburg ab, fuhr mit ihr in die Nähe von Cleeberg und tötete sie. Er hat vor Gericht ausgesagt, es sei im Streit passiert, Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger wirft ihm Vorsatz vor.

Das Mädchen, um das es am Dienstag geht, sagt im Vernehmungsvideo: »Ich habe gedacht, das ist alles ein bisschen komisch, dieses ständige Fragen, ob wir uns treffen wollen. Da habe ich ihn blockiert.« An anderer Stelle nennt es den Video-Anruf, in dem sich der Angeklagte selbst befriedigt hat, als Grund fürs Blockieren.

Die damals 13-jährige hat ihm, wie sie den Polizistinnen sagt, ihr wahres Alter mitgeteilt. Welches Alter er angegeben habe, wisse sie nicht, glaube aber, dass er sich als relativ jung ausgegeben habe. Als sie ihn dann online gesehen habe, habe sie gedacht, er sei 40 oder 50. Eine Aussage, die den ansonsten recht teilnahmslos wirkenden Angeklagten im Gerichtssaal für einen Moment verdutzt dreinblicken lässt.

Er soll gesagt haben, dass er viel Geld besitze

Das Chatten zwischen dem Mädchen und dem Angeklagten zeigt mehrere Dinge: Erstens redete der Mann nicht lange drum herum, kam ganz schnell auf die sexuelle Ebene, zweitens fand alles - Nacktfotos schicken, Vorschlag des Zusammenziehens, Suiziddrohung - innerhalb von zwei Tagen statt. Drittens hatte sich das Mädchen schon vorher in einer schwierigen Situation befunden, war labil. Seine Eltern waren getrennt und zerstritten, die Tochter war bereits wegen psychischer Probleme behandelt worden. Und dann kam irgendwann der Chat mit dem Mann, der später Ayleen tötete. »Ich wollte mich vielleicht nur gut fühlen, wenn ich Komplimente bekomme«, versucht die nun 14-Jährige zu erklären, warum sie auf die Forderungen des Angeklagten eingegangen ist. Geld habe keine Rolle gespielt, auch wenn der Mann behauptet habe, er hätte viel davon.

Wie fühle sie sich, jetzt, wo sie wisse, dass sie es mit dem späteren Täter zu tun gehabt habe?, will eine der Polizistinnen wissen. »Es macht mir Angst, dass ich mit so einem geschrieben habe«, sagt die 14-Jährige. Und wenn ihr der Mann auf der Straße einen »Sugar-Daddy-Fragebogen« in die Hand gedrückt hätte? Hätte sie ihn dann auch ausgefüllt? »Nein«, sagt das Mädchen.

Mit ihren Aussagen hat die 14-Jährige die Polizei unterstützt. Nach der Vernehmung gibt sie zu, dass es ihr schlecht gehe. Sie sagt aber auch: »Ich hoffe, ich konnte helfen.«

Chat-Verläufe, DNA-Spuren und das, was nicht nachgewiesen wurde

Der digitale Erstkontakt sei nicht mehr nachvollziehbar, Snapchat wäre eine Option, hat ein Kriminaloberkommissar am Dienstag vor dem Gießener Landgericht berichtet. Er hat der Soko »Lacus« angehört, die extra für die Aufklärung des Falls Ayleen gegründet worden war. Diesmal ging es allerdings um Chats zwischen dem Angeklagten und einem anderen, damals 13-jährigen Mädchen, das sich letztlich nicht mit dem heute 30-Jährigen aus dem Lahn-Dill-Kreis getroffen hat.

Drei Chat-Verläufe habe man auswerten können, informierte der Polizist: zwei via WhatsApp (der Angeklagte nutzte zwei Handys) und einen Verlauf mit sechs SMS- beziehungsweise MMS-Nachrichten. Zudem gab es vier Video-Anrufe. Der Angeklagte schickte dem Mädchen vier Penisbilder, umgekehrt bekam er 13 kinderpornografische Fotos, die das Mädchen von sich gemacht hatte. Der Angeklagte soll der damals 13-Jährigen einen »Sugar-Daddy-Fragebogen« mit zwölf oder 13 Fragen gesendet haben. Dass sie ihm die Antworten gesendet habe, lasse sich nicht mehr direkt nachweisen, doch habe der Angeklagte mehrfach auf Beantwortung der Fragen gedrängt, sagte der Polizist. Der Angeklagte habe sich selbst die beantwortete Version weitergeleitet. Die Angaben - es ging dabei neben so Dingen wie sexuelle Vorlieben auch um Name, Größe und Gewicht - passten zu dem Mädchen. Die damals 13-Jährige habe, so wie sich der Chat lese, die Bilder gerne verschickt, sagte der Polizist. Wie schwer ihr dies später zu schaffen machte, zeigte die Vernehmung.

Am Dienstag wurde auch eine Diplom-Biologin als Sachverständige gehört. Sie sprach über die Untersuchungen von Gegenständen, die man im Wald in der Gemarkung von Espa, zudem im Auto des Angeklagten und in dessen Wohnung gefunden hatte. Dabei handelte es sich beispielsweise um einen Kapuzenpulli, einen BH, eine Radlerhose, ein Cutter-Messer und Kabelbinder. Man habe zwar DNA-Spuren entdeckt - allerdings: »Wir haben es mit wenig DNA und wenig intakter DNA zu tun.« Blut oder Sperma habe man nicht nachweisen können, aber: »Man kann nicht sagen, ob vorher was vorhanden war.« Schließlich komme es auch darauf an, ob Dinge im Trockenen gelegen hätten oder Feuchtigkeit ausgesetzt gewesen seien. Was Spuren an der Leiche betreffe, sei zu bedenken, dass diese einige Tage im Wasser gelegen habe. Bei den 17 gynäkologischen Abstrichen habe man kein Sperma nachgewiesen.

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