1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis
  4. Friedberg

Blitzer und Co. in der Wetterau: Wenn der Beweis auf wackeligen Füßen steht

Erstellt:

Von: Christoph Agel

Kommentare

agl_Blitzer_150822_4c_2
Damit man eine Geschwindigkeitsübertretung wasserdicht nachweisen kann, muss das Blitzgerät vom ersten Tag an offiziell geeicht sein, argumentiert Richterin Christine Yazdani. Bei der Stadt Butzbach sieht man das anders. SYMBOL © Red/Symbolbild

Stellen Sie sich vor, Sie werden geblitzt, zur Kasse gebeten und legen Einspruch ein. Dann stellt sich heraus, dass das Blitzgerät nicht geeicht war. In der Wetterau gab es solche Fälle.

Friedberg - Ob schon einmal jemand ernsthaft daran gezweifelt hat, dass auf der Metzger-Waage wirklich 542 Gramm Hackfleisch liegen? Oder ob an der Tankstelle tatsächlich 52 Liter in den Tank geflossen sind? Vielleicht funktioniert ja die Waage oder die Zapfsäule nicht richtig - könnte man zumindest in Erwägung ziehen. Jedes Gerät, mit dem man etwas wiegen oder messen könne, müsse geeicht sein; so sehe es Paragraf 37 Absatz 1 des Mess- und Eichgesetzes vor, sagt Christine Yazdani, Richterin am Amtsgericht Friedberg.

Im ersten Jahr, in dem das Gerät in Betrieb sei, reiche aber eine Konformitätsbescheinigung aus, die - ebenso wie der Eichnachweis - vom Eichamt ausgestellt werde. Doch anders als bei der offiziellen Eichung handele es sich beim Ausstellen der Konformitätsbescheinigung nicht um einen hoheitlichen, sondern um einen privatwirtschaftlichen Akt. Was nach juristischem Klein-klein klingt, ist dann entscheidend, wenn es um Blitzgeräte geht - um stationäre, um mobile und auch um Kameras, die das rasende Auto filmen.

In Butzbach und Friedberg werden Raser mit nicht geeichten Blitzern erwischt

Solche Geräte nämlich, erklärt Yazdani, müssen auch schon am Anfang geeicht werden - und jedes Jahr aufs neue. Nun habe es aber in Friedberg und in Butzbach Fälle gegeben, in denen die jeweilige Kommune Raser mit einem Gerät erwischt habe, das nicht geeicht gewesen sei. Wenn jemand mit dem Ziel vor Gericht zieht, die drohende Geldstrafe und die Punkte, womöglich gar ein Fahrverbot abzuwenden, und dann per Zufall herauskommt, dass das Blitzgerät nicht geeicht gewesen ist, dann fehlt - folgt man Yazdanis Argumentation- die Grundlage für alles: für Bußgeld, Punkte, Fahrverbot.

Drei solcher Fälle wären am 22. August am Friedberger Amtsgericht verhandelt worden, Vertreter der Stadt Butzbach waren geladen. Doch die Partei der Geblitzten habe zurückgezogen - völlig unverständlich, wie Yazdani findet, da sie auf Freispruch-Kurs gewesen sei. Ein Verfahren ist noch für den Oktober terminiert. »Die Stadt Friedberg hat auf Anruf von mir sofort alle Messungen eingestellt und wird das betroffene Gerät demnächst eichen lassen. Butzbach steht auf dem Standpunkt, es sei zulässig, solche Messungen durchzuführen«, fasst Yazdani zusammen.

Bei den Butzbacher Fällen sei es um Bußgelder in einer Größenordnung von 120 bis 150 Euro gegangen, die Raser hätten die erlaubte Geschwindigkeit im Ort um 23 bis 24 km/h überschritten, in allen Fällen drohten Punkte in Flensburg. Juristisch am Ball zu bleiben, hätte sich für die Fahrer sehr wahrscheinlich gelohnt.

Viele Raser verpassen erfolgsversprechende Einsprüche gegen Bußgelder oder Punkte

Wie ist es aufgefallen, dass das Gerät nicht geeicht gewesen ist? Bei der Durchsicht der Akten habe sie bemerkt, dass der Eichschein gefehlt habe, sagt die Richterin. Auf Nachfrage habe sie gesagt bekommen, den brauche man nicht. Dies sei eine bemerkenswerte Ansicht einer untergeordneten Ordnungsbehörde, die sich damit gegen das Gesetz und die eindeutige Rechtsprechung des Oberlandesgerichts stelle, kritisiert Yazdani.

Das Gerät, das in Butzbach zum Einsatz komme, sei inzwischen geeicht. Sie verstehe nicht, wie das Ganze passieren konnte. Zumal der Beamte, der die Geschwindigkeitsmessung vornehme, ein Messprotokoll schreiben und im Zuge dessen auch die Eich- und Sicherungsmarken prüfen müsse. Man müsse sich als Kommune an Recht und Gesetz halten. »Das hat man in diesem Fall nicht getan.« Yazdani sagt auch: »Dass das Gerät falsch gemessen hat, halte ich für unwahrscheinlich.« Dass es richtig gemessen habe, könne sie aber mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht nachweisen.

Stellt sich die Frage, ob vielleicht so mancher Temposünder einen erfolgreichen Einspruch gegen Bußgeld, Punkte oder Fahrverbot verpasst hat, weil er oder sie nicht wusste, dass eventuell der Eichschein fehlte. Die Zentrale Bußgeldstelle beim Regierungspräsidium in Kassel habe versichert, kein Verfahren mehr durchzuwinken, für das kein Eichschein vorliege, verweist Yazdani auf eine Unterhaltung mit der Behörde. Als Privatperson habe man das Recht, bei einer Kommune den Eichnachweis zu verlangen, sagt sie. »Ich denke aber, dass das Problem für die Zukunft gelöst ist.«

Was den Einsatz des Gerätes in Butzbach angeht, ist für Yazdani nach wie vor unklar, wie es dazu kommen konnte: »Ich verstehe nicht, warum man nicht einfach uns gefragt hat, das wäre ein Anruf gewesen.«

Standpunkt des Bürgermeisters von Butzbach

Auf Nachfrage dieser Zeitung untermauert der Butzbacher Bürgermeister Michael Merle den Standpunkt, dass im ersten Jahr, in dem ein Gerät zur Geschwindigkeitsmessung in Betrieb sei, eine Konfirmitätsbescheinigung ausreiche: »Nach dem Mess- und Eichgesetz entfällt bei Messgeräten, die erstmals in den Verkehr gebracht werden, die Erfordernis einer Ersteichung, da diese durch das sog. Konformitätsbewertungsverfahren ersetzt wird. Wenn ein Messgerät ein solches Verfahren durchlaufen hat, gilt ein solches Messgerät für das erste Jahr, in dem es in Verkehr gebracht wurde, als geeicht. Der Nachweis hierfür wird durch eine Konformitätsbescheinigung der prüfenden Stelle (in der Regel sind dies die Eichämter, die diese Aufgabe als Konformitätsbewertungsstelle wahrnehmen) und durch die Konformitätserklärung des Herstellers des Messgeräts erbracht.«

Die Eichfrist beginne nach dem Mess- und Eichgesetz und der sich darauf gründenden Mess- und Eichverordnung mit dem Inverkehrbringen des Messgeräts und betrage ein Jahr. Eine Eichung sei daher »nach diesen bundesgesetzlichen Regelungen erst bei Ablauf dieser Frist vorzunehmen«, argumentiert Merle. »Aufgrund dieser bestehenden Rechtsgrundlage wurde auch das hier verwendete Messgerät in Verkehr gebracht. Die vom Gesetz geforderte Konformitätsbescheinigung und -Erklärung lagen vor. Insoweit wurde das Messgerät gesetzeskonform und damit ordnungsgemäß in Verkehr gebracht und genutzt.«

Was die Messprotokolle angeht, sei bei den Daten zum Messgerät die letzte Eichung bzw. bei Erstinverkehrbringung des Messgeräts das Datum der Konformitätsbescheinigung anzugeben. »Vorliegend wurde das Messgerät 2021 erstmals in Verkehr gebracht, so dass statt des Datums der Eichung das Datum der Konformitätsbescheinigung anzugeben war.«

Auch interessant

Kommentare