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»Delikatus«-Inhaber: »Wir kämpfen um jeden Cent«

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Von: Jürgen Wagner

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Da die Außenbewirtschaftung nicht mehr erlaubt ist, bewirten Matthias Schott und Ute Schott-Rönsch die Mittagstischgäste im Delikatus nun an vier kleinen Tischen auf der Empore. © Nicole Merz

Der Einzelhandel stöhnt. Erst Corona, dann Krieg, Lieferproblemen und nun die Energiekrise. In Friedberg kommt hinzu, dass die Außenbewirtschaftung nicht mehr erlaubt ist.

Die Sonne scheint, man könnte noch draußen sitzen«, sagt Ute Schott-Rönsch und blickt durchs Schaufenster des Spezialitätengeschäfts »Delikatus« auf die Friedberger Kaiserstraße. Die ist für einen Montagvormittag gut belebt, Passanten gehen vorüber. Aber sie bleiben nicht mehr stehen, um eine Rindwurst von Gref-Völsings zu essen oder einen Kaffee zu trinken. Eine Außenbewirtschaftung dürfen sie und ihr Mann Matthias Schott nicht mehr anbieten. So will es eine städtische Satzung.

Mitte Oktober endete in Friedberg die Zeit der Außengastronomie. Die »Schafställe« vor den Gaststätten mussten abgebaut werden. Schott-Rönsch findet das bedauerlich. »Wir zahlen gerne für die Außenbewirtschaftung, für die drei Aufsteller und die Weihnachtsbeleuchtung.« In den vergangenen zwei Jahren habe die Stadt die Außenbewirtschaftung durchgehend erlaubt - eine Folge der Coronakrise, die Geschäftsleute sollten unterstützt werden.

Lieber Parkplätze oder Schafställe?

Als das Thema neulich im Stadtparlament zur Sprache kam, gab es Stimmen, die am liebsten sofort eine Verlängerung beschlossen hätten. Das war Mitte Oktober, die ersten Schafställe waren da bereits abgebaut. Auch auf der Facebook-Seite »Ideen für Friedberg« wurde das Thema debattiert. Sven Weiberg, Fraktionsvorsitzender der Linken, äußert dort: »Die zentrale Frage ist, was eher der Aufenthaltsqualität auf der Kaiserstraße dient: Parkplätze oder Gastronomie?« Die politische Gremien befassen sich aktuell mit dieser Frage (siehe Kasten).

Für das »Delikatus« bedeutet die Regelung, »dass uns viele Stammkunden wegfallen. Und nicht nur uns.« Schott-Rönsch deutet rüber zum Elvis-Presley-Platz. »Vor ›Edeka Koch‹, ›Kochlöffel‹ und ›Brothers Bakery‹ trafen sich jeden Morgen Rentner und tranken Kaffee. Außengastronomie ist auch eine Begegnungsstätte. Und es ist doch gut für die Stadt, wenn sie belebt wird.«

Es sei auch gut für die Stadt, wenn sie den Besuchern etwas zu bieten habe. Zum Beispiel ein Feinkostgeschäft, von dem die Kunden im Gästebuch schreiben, es sei »eine Perle in Friedberg und ein Geheimtipp für die Region«. In den Regalen findet man neben hessischen und italienischen Spezialitäten auch Retsina und Rotwein-Pasta, Brotaufstrich aus Beeren-Melange, Safran, frischen Käse, Ardennenschinken oder Mirabellen-Brand.

»Wir ziehen viele Kunden von Außerhalb an. Die besuchen dann auch die Stadt«, sagt Schott-Rönsch. Ihr Geschäft ist in den Augen vieler Kunden eine Bereicherung für die Stadt, aber sie und ihr Mann haben das Gefühl, dass das nicht überall erkannt wird. »Es geht um unsere Existenz«, sagt Schott. Andere Geschäftsinhaber hätten innerlich längst aufgegeben. »Die sagen sich: Es war schon immer so in Friedberg, da wird sich eh nichts ändern.«

Wie die Stadt mit ihren Geschäftsleuten umgeht, durften die »Delikatus«-Inhaber 2015 erleben, als sie Tische und Stühle vor ihren Laden stellten und das Ordnungsamt wegen weniger Zentimeter Überstand das Aufstellen untersagen wollte. Schließlich einigte man sich. Ute Schott-Rönsch stellte Sitzgarnituren auf, verschönerte den nicht unbedingt vorzeigbaren Gehweg durch einen roten Teppich. Kaum lag der, wurden im Rathaus Befürchtungen laut, jemand könne drüberstolpern - was in sieben Jahren laut Schott-Rönsch niemals vorkam.

Glühwein diesmal nur im Geschäft

Wolldecken für die Außenbewirtschaftung hat das Ehepaar angeschafft; von Heizpilzen halten sie wegen des hohen Energieverbrauchs nichts. In den letzten beiden Winterperioden wurden vor dem »Delikatus« heißer Apfelwein und Glühwein ausgeschenkt. Die Stehtische waren oft umlagert, das Geschäft florierte. Matthias Schott hat auch diesmal Glühwein eingekauft. Draußen ausschenken darf er ihn nicht. »Wir kämpfen um jeden Cent«, sagt er und wünscht sich, dass die Geschäftsleute in Friedberg mehr unterstützt werden. Sonst werde es bald zu weiteren Geschäftschließungen kommen.

Thema wird im Ausschuss für Wirtschaft erneut besprochen

Seit 1992 bis 2019 galt in Friedberg nach einem Beschluss des Stadtparlaments die durchgängige und unbeanstandete Regelung, dass Außenbewirtschaftung vom 1. April bis 15. Oktober stattfinden darf. In der Pandemie kam die Stadt den Gastwirten entgegen. 2020 und 2021 war ganzjährig Außenbewirtschaftung erlaubt, die Stadt verzichtete auf die Sondernutzungsgebühren in Höhe von rund 65 000 Euro. Außerdem entgingen der Stadt Parkgebühren von rund 120 000 Euro. 15 Betriebe nutzten das Angebot. Obwohl die Schafställe vom Oktober bis März aufgebaut blieben, wurden sie in dieser Zeit »wenig bis gar nicht genutzt«, sagt Erste Stadträtin Marion Götz (SPD). »Das war öfter Thema im Magistrat und Gegenstand kritischer Rückmeldungen an die Stadt, da viele Parkplätze blockiert waren.« Einzelhändler fragten sich, warum nur die Gastronomie gefördert werde. Für den Winter 2022/23 schlug der Magistrat keine Ausnahmeregelung vor, auch die Stadtverordneten sahen im September keinen Anlass für Änderungen.

Was tut die Stadt für die Gewerbetreibenden? Nun, laut Götz wurden Auf- und Abbau der Außenbewirtschaftung seit Jahren relativ unkompliziert gehandhabt. War das Wetter schön, durften die Schafställe auch früher aufgebaut werden. Bürgermeister Dirk Antkowiak (CDU) verweist auf die vielen Aktionen wie »Urlaub in Friedberg«, »Friedberg spielt‹ oder das kostenfreie Parken im Advent, womit man Kunden in die Innenstadt locke. Aktuell werde die Umgestaltung der Kaiserstraße vorbereitet. Dabei sollen auch Flächen für Außengastronomie berücksichtigt werden. Durch ein Baustellenmanagement sollen die Auswirkungen der Umbauarbeiten auf die Händler minimiert werden, sagt Antkowiak.

Die Außenbewirtschaftung könne weiterhin erlaubt werden, »wenn die Stadtverordnetenversammlung dies nach Abwägung aller genannten Gesichtspunkte so beschließt«, sagt Götz. Die städtischen Gremien haben diese Frage im Oktober nochmals aufgegriffen, heute Abend wird sie im Ausschuss für Energie, Wirtschaft und Verkehr beraten. In der Stadtverordnentenversammlung am 8. Dezember könnte über eine neue Regelung abgestimmt werden.

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