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Der schwierigste Roman der Weltliteratur

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»Schwere Kost etwas leichter gemacht« (v. l.): Dr. Volker Hoffmann, Kristina Schaum und Karl Buxmann haben sich im Kesselhaus souverän und zweisprachig James Joyces’ »Finnegans Wake« gewidmet. © Gerhard Kollmer

Friedberg (gk). »Meine Damen und Herren, heute erwartet Sie schwere Kost«: Mit diesen Worten begrüßte Dr. Volker Hoffmann, Ehrenpräsident der Friedberger Deutsch-Irischen Gesellschaft, die zahlreich erschienenen Gäste am Freitagabend im Kesselhaus des Theaters Altes Hallenbad zur 30. Lesung aus dem Werk von James Joyce. Im Mittelpunkt des zweistündigen Programms stand dessen zwischen 1923 und 1938 entstandener Riesenroman »Finnegans Wake«.

Begleitet wurde Hoffmann in gewohnter Weise von Karl Buxmann, der die vorgestellten Texte von Joyce im englischen Original rezitierte, sowie der Sopranistin Kristina Schaum, die neben Arien von Mozart und Bellini Lieder von Beethoven und Wagner sowie nach der Pause irische Weisen - alle auf hohem Niveau - interpretierte.

Am Klavier begleitet wurde sie auch an diesem Abend von Volker Hoffmann.

Das Jahrzehnt von 1904 bis zum Kriegsbeginn 1914 verbrachte Joyce als Englischlehrer im damals noch österreichisch-ungarischen Triest. Diese blühende Handelsstadt an der nördlichen Adria war Schmelztiegel vieler Kulturen. Neben Italienisch, Deutsch, Ungarisch waren zahlreiche andere Sprachen in der mondänen Stadt zu hören. Der polyglotte, hochgebildete Joyce tauchte hier in einen zum Schreiben animierenden Kosmos ein. Nach Kriegsausbruch musste er Triest in Richtung Zürich verlassen. Von 1920 bis 1939 lebte er dann - mit kurzen Unterbrechungen - in Paris. Nach Irland zog es den seiner Heimat in Hassliebe »Verbundenen«, so Volker Hoffmann im kurzen biografischen Abriss, nicht zurück.

Zwei von ihm in Auszügen zitierte Essays über ein Gemälde von Munkacsy und die Entstehung der Tragödie im alten Griechenland demonstrierten das weitgespannte Interessenspektrum von James Joyce.

Der zweisprachigen Lesung aus »Finnegans Wake« im zweiten Teil des Abends ging der Genuss von gezapftem »Guinness stout« voraus. Möglicherweise hat er den Zugang zum »strangest dream that was ever dreamt« (»dem seltsamsten Traum, der je geträumt wurde«) ein wenig erleichtert.

Den meisten Interpreten gilt »Finnegans Wake« als Erzählung eines monströsen Traums, den die Hauptfigur des Werks, der Dubliner Humphrey Chimpden Earwicker (HCE), in einer Nacht träumt. Damit wird der Riesenroman zum Gegenstück des »Ulysses«, der an einem Tag spielt. Das Großstadtepos von 1922 wird in »Finnegans Wake« zum Menschheitsepos »fortgeschrieben«. Eine der relativ verständlichen Episoden des »Finnegan« kreist um Anna Livia Plurabelle, die Frau HCEs, welche auch in schlechten Zeiten zu ihm steht.

Versteckte Zitate, Worterfindungen

Hoffmann und Buxmann lasen diese Passagen in gewohnter Souveränität.

Apropos HCE: Die Anfangsbuchstaben von Earwickers Vor- und Nachnamen stehen unter anderem für »Here comes everybody« (Hier kommt jedermann). Wie Leopold Bloom im »Ulysses« ist auch er nicht nur Einzelperson, sondern verkörpert den Menschen schlechthin.

Joyce selbst hat hervorgehoben, so Hoffmann in seinen kundigen Erläuterungen, er habe versucht, »viele Erzählungsebenen aufzuschichten«. Unter dem Text an der Oberfläche befindet sich also ein »Subtext«, der erschlossen sein will - was, wenn überhaupt, nur anhand ausführlicher Kommentare möglich ist. Oft bleibt es nicht bei einem »Subtext«, sondern dieser ist seinerseits durch einen weiteren »fundiert«.

So gleicht denn »Finnegans Wake« einem Bergwerk, in das hinabsteigen muss, wer zumindest erahnen will, worum es Joyce zu tun ist.

Eine weitere fast unüberwindliche Verständnishürde sind Tausende von Assoziationen, versteckte Zitaten und - oft skurrile - Worterfindungen. Eines jedoch war am Ende der gefeierten Lesung im Alten Hallenbad ganz sicher: Joyces monumentales Spätwerk mag »unausschöpflich« wie ein bodenloser Brunnen sein. Eine Sammlung sinnloser Sprachspielereien ist es mitnichten.

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