Die stoische Ethik - ein emotionaler Minimalismus?

Friedberg . Gut 400 Jahre lang hat das Gedankengut der Stoa seinen Einfluss entfalten können. Damit wurde sie zu einem der wirkmächtigsten philosophischen Lehrgebäude in der abendländischen Geschichte. Gegründet von Zenon von Kition um 300 vor Christus hatte sie bis in die Regierungszeit von Mark Aurel, dem Philosophenkaiser Roms (121 bis 180 n. Chr.
), ihre Anhänger. Gebannt lauschte das Publikum kürzlich im Bibliothekszentrum Klosterbau den klaren Ausführungen von WZ-Mitarbeiter Gerhard Kollmer, der im Rahmen der Vortragsreihe »Minimalismus« des Volksbildungsvereins die wesentlichen Grundgedanken der stoischen Ethik präsentierte.
Dabei ließ er sich vom »Handbüchlein der Moral« (Encheiridion) leiten, das in 53 Abschnitten die Überlegungen von Epiktet (55 bis 135 n. Chr.), einem der letzten großen Denker der Stoa, zusammenfasst.
Auch unser heutiges Denken wird noch stark von stoischem Gedankengut geprägt, das zwar religiöse Züge aufweist, aber, so Kollmer, ausdrücklich keine Religion sein will.
Namensgeber für das Lehrgebäude war eine Säulenhalle (Stoa) am Marktplatz (Agora) von Athen, in welche die Vorträge Kitions wegen des großen Zulaufs verlegt wurden. Nach seinen Vorstellungen soll der Mensch danach trachten, seinen Platz in der Ganzheitlichkeit des Kosmos, in den natürlichen Zusammenhängen zu finden. Sein Los innerhalb dieser Ordnung zu akzeptieren, erreicht er durch Einübung emotionaler Selbstbeherrschung und mithilfe von Seelenruhe (Ataraxie) strebt er nach Weisheit. Kann eine Tugend- und Weisheitslehre dazu beitragen, unser Leben besser zu machen? Nur durch Herausbildung einer autarken, also selbstbestimmten Persönlichkeit könne das Ziel einer »vollendeten Glückseligkeit« erreicht werden. Tugendhaftes Leben, Mut und Gerechtigkeit sind jedoch hohe Hürden zum glückseligen Leben.
Halls als Quelle des Unglücks
Auch solle angestrebt werden, das eigene Wollen mit dem Können zu harmonisieren. Wer das nicht schaffe, werde Opfer von Neid. Der so entstehende Hass sei die Hauptquelle allen Unglücks. Der Mensch hat einen freien Willen, den man richtig zu gebrauchen lernen soll. Vor allem sei man frei von allen Leidenschaften, sonst werde man Sklave der Vorstellung von den Dingen statt die Dinge selbst wertfrei zu sehen.
Der Wunsch, etwas zu tun, sollte erst dann in tatsächliches Handeln umgesetzt werden, wenn die Vernunft dazu ihre Zustimmung erteilt. Dazu sollte man wissen, was falsch und was richtig ist. Insofern sei Selbsterziehung/-kritik notwendiger Teil der stoischen Philosophie.
»Dinge an sich sind weder gut noch böse. Das sind nur wir Menschen. Wenn Du es nicht ändern kannst, sei damit einverstanden, auch etwa mit dem Tod deines Kindes.« Diesen »stoischen Fatalismus« gegenüber selbst dem Schlimmsten« sieht der Referent heute als fast zu weitgehend, erinnert aber an Karl Marx: »Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit«.
Wird hier mit hohem intellektuellem Aufwand ein emotionaler Minimalismus angepriesen, angesichts dessen einem das Blut in den Adern stockt? Nach Epiktet können wir uns aber gegen Ängste durch die gedankliche Vorwegnahme zukünftiger Übel immunisieren. Wer angstfrei lebt ist wahrhaft frei, auch wenn er auf seine Hinrichtung wartet. Jedenfalls solle man sein Herz nicht an äußere Dinge hängen. Wer reich ist, soll im Bewusstsein leben, jederzeit auf Geld, Haus etc. verzichten zu können. Körperliche Liebe ist dem Weisen nicht untersagt, sofern er sich von Lustgefühlen nicht überwältigen lässt, wobei es nicht um Askese geht, sondern um Bescheidenheit. Und, was heute selbstverständlich ist (sein sollte!): »Niemand ist Eigentum eines anderen«, als Teile der kosmischen Gesamtheit sind alle Menschen gleich! Die Empfehlungen des Handbüchleins von Epiktet schließen kurios: »Einladungen bei philosophisch Ungebildeten sollten abgelehnt werden!«.
Auf das mit viel Beifall bedachte Referat Kollmers folgte eine sehr lebhafte Diskussion, bei der auch entsprechende Überlegungen des Friedberger Schriftstellers Henry Benrath, stoisches Gedankengut in fernöstlichen Religionen und Elemente aus Epikurs Lehre zur radikalen Diesseitigkeit erörtert wurden.
Haimo Emminger