Betrieb aus Hessen führt 4-Tage-Woche ein: Durchweg positive Reaktionen
„Nicht nur StartUps können innovativ sein“, sagt Matthias Ertl. Der Malermeister aus Friedberg hat seinen Betrieb auf die Vier-Tage-Woche umgestellt – was viele Vorteile mit sich bringt.
Friedberg – Flexibilität ist in der Wirtschaft das Gebot der Stunde. So bieten immer mehr Firmen die Vier-Tage-Woche an. Ein Gießener Sanitär- und Heizungsunternehmer will seine Belegschaft glücklich machen, in der Altenpflege wird diskutiert, ob so eine bessere Life-Work-Balance zu erreichen sei. Studien zeigen: Die 4-Tage-Woche hebt die Stimmung in der Belegschaft, Produktivität und Umsätze steigen. Aus Niedersachsen wurde gar berichtet, eine Grundschule führe aus Mangel an Lehrkräften die 4-Tage-Woche ein; das Kultusministerium wollte sich diese Blöße aber nicht geben und beendete das Experiment.
Der Friedberger Malermeister Matthias Ertl (53) hat sich viele Gedanken über die 4-Tage-Woche gemacht. Im Internet las er von isländischen Betrieben. »Warum nicht auch bei uns?« Zumal es das ja gibt. »Auf Großbaustellen in Berlin etwa.« Die Firmen müssten sich etwas einfallen lassen, um Mitarbeiter zu gewinnen. »Aber das geht uns ja genauso«, sagt Ertl, der den Familienbetrieb zusammen in dritter Generation leitet.

Malerbetrieb aus Hessen verbindet Tradition mit Innovation
Neben seiner Frau Ulrike, die als gelernte Steuerfachangestellte das Büro übernimmt, sind in der Firma fünf Gesellen und drei Lehrlinge beschäftigt, unter den Azubis ist eine junge Frau. Der Malerbetrieb, der seinen Stammsitz im Holzpförtchen hat, setzt auf Tradition: 1956 durch Erich Ertl gegründet, übernahm dessen Sohn Winfried 1978 den Betrieb, den er 2009 an Sohn Matthias übergab. Zwei Kinder haben die Ertls, beides Teenager. Gut möglich, dass die Familientradition noch einige Zeit fortgeführt wird.
Neben der »Tradition« ist Ertl aber auch die »Innovation« wichtig, wie auf seiner Homepage zu lesen ist: »Wir setzen neueste Umwelt- und gesundheitsschonende Techniken, Farben und Anstrichmaterialien ein.« Aber nicht nur das. »Die Leute sollen immer länger arbeiten, bis 67 Jahre. Viele fragen sich, wie sie das durchstehen sollen«, sagt Ulrike Ertl. »Mit drei Tagen Ruhe, an denen man das Stresslevel runterfahren kann, geht das eher«, sagt ihr Mann Matthias.
Müssen die Maler auf eine Baustelle nach Frankfurt, gehen für die Fahrt zwei Stunden drauf. Freitags, wenn nur der halbe Tag gearbeitet wird, lohnt sich das nicht. »Klimatechnisch ist das eine Katastrophe.« Die Benzinpreise und das Umweltbewusstsein steigen. Wenn Kunden aus Frankfurt nur für vier Tage die Anfahrt zahlen müssen, weil die Handwerker an den übrigen Tagen länger arbeiten, rechnet sich das auch für sie.
Hessen: Umstellung auf 4-Tage-Woche nur, wenn alle zusagen
So reifte die Idee eines neuen Arbeitszeitmodells. Matthias Ertl sprach mit seinen Mitarbeitern, gab ihnen eine Liste mit den Vor- und Nachteilen an die Hand und lud zur Betriebsversammlung ein. »Ich wollte das nur machen, wenn alle zustimmen.« Die Reaktionen reichten von eher skeptisch bis Jubel. Am Ende waren alle einig, es zunächst für ein Jahr auszuprobieren.
Was spricht dafür, was dagegen? Zunächst die Nachteile. »Die Arbeitszeit verlängert sich.« Sie geht von montags bis donnerstags von 7 bis 17.15 Uhr, mit zwei Pausen, insgesamt 45 Minuten. Im Winter ist es morgens und abends länger dunkel. Der Tagesrhythmus ändert sich. Da die Arbeitswoche nur noch 38 Stunden umfasst, verdienen die Mitarbeiter 15 Euro weniger die Woche. Wer will, kann dies über Überstunden ausgleichen, sagt Ertl. Die Mitarbeiter bekommen außerdem weniger Urlaub. Das ist gesetzlich festgelegt; bei vier Wochenarbeitstage sind es vier Fünftel der normalen Urlaubstage. Wer vorher 30 Tage Jahresurlaub hatte, verfügt künftig nur noch über 24.
Positive Reaktionen von Kunden: „Das Vier-Tage-Modell wird Nachahmer finden“
Allerdings gibt Ertl jedem Mitarbeiter einen zusätzlichen Tag frei. Und - damit sind wir bei den Vorteilen - alle haben künftig mehr Freizeit am Stück: Der Freitag ist künftig frei, durch das lange Wochenende haben alle längere Ruhezeiten. Durch die Brückentage werden weniger Urlaubstage verbraucht. Private Termine wie Friseur oder Arztbesuche lassen sich besser koordinieren, es fällt weniger Fahrzeit und ein geringerer Spritverbrauch für Fahrten zwischen Werkstatt und Baustelle an.
Die ersten Reaktionen der Kunden seien positiv. »Viele werten das fortschrittlich und vernünftig. Negative Reaktionen gab es gar keine.« Der Malermeister ist sich sicher: Das Vier-Tage-Modell wird Nachahmer finden. (Jürgen Wagner)
Auch die Handwerkskammer Gießen-Friedberg hat sich Tradition und Innovation auf die Fahne geschrieben. Insgesamt sieht sich die Kammer gut aufgestellt für die kommenden Jahrzehnte.