Wetterauer Apotheker klagt: »Es fehlt an allen Ecken«

Die Viren-Hochsaison hat begonnen, und irgendwie kommt es einem wie ein Déjà-vu vor, denn auch diesmal gibt es wieder einen Medikamentenmangel. Auch in der Wetterau.
Höchstens eine Woche würde sein Vorrat an Antibiotika für Kinder reichen, wenn eine Grippe-Welle rollen würde, sagt Carsten Renner. Angesprochen auf den auch für diese Herbst-Winter-Saison absehbaren Medikamentenmangel, sagt der Inhaber der Sprudel-Apotheke in Bad Vilbel: »Es fehlt im Grunde genommen an allen Ecken.« Was den dünnen Antibiotika-Vorrat für Kinder angeht, fügt er hinzu, dass das noch nicht mal die Medikamente seien, die bevorzugt genommen würden.
»Fiebersäfte haben wir derzeit genug. Wie es sich in einer Welle verhält, weiß ich nicht«, sagt Renner. Im vergangenen Winter war es ein großes Thema, dass Apotheker Fiebersäfte selbst herstellten. Sie waren dabei aber auch auf Wirkstoffe und auf die Fläschchen aus Medizinglas angewiesen - beides knappe Güter. Aktuell gibt es laut Renner einen Mangel beispielsweise an Antibiotika, Diabetesmitteln, Blutdrucksenkern und Cholesterinsenkern. »Jeden Tag gibt es in jedem Segment irgendwelche Probleme.«
»Solange wir alles verramschen, solange wird sich auch nichts ändern«, spricht der Apotheker ein grundsätzliches Problem an. »Firmen verkaufen lieber in die Länder, in denen sie mehr Geld kriegen.« Die Verträge der Krankenkassen seien ein Problem. »Im Endeffekt heißt es immer nur billig, billig, billig. Das kommt uns gerade als Bumerang zurück.« Solange sich an Preisen nichts ändere, gebe es keinen Anreiz für Firmen, wo anders zu produzieren, sagt Carsten Renner.
Täglich sehe er Menschen, die der Medikamenten-Engpass verzweifeln lasse. Sie kämen vom Arzt, würden zehn Apotheken abklappern und dann zur Arztpraxis zurückgehen.
Cholesterinsenker bis Schmerzmittel
Auch Gabriele Koch, Inhaberin der Linden-Apotheke in Echzell, ist mit dem Mangel konfrontiert - bei ganz unterschiedlichen Medikamenten: »Es geht eigentlich quer durch die Bank.« Sie zählt Cholesterinsenker, Krebsmedikamente, Blutdruckmittel, Antibiotika und Schmerzmittel auf. Ein weiteres bekanntes Beispiel seien Langzeit-Insuline. Ihre Apotheke versorge unter anderem zwei Seniorenheime, auch mit Psychopharmaka. »Da müssen wir manchmal ziemlich jonglieren, dass wir da was finden«, sagt Gabriele Koch. »Es kostet wahnsinnig viel Zeit, die investieren wir.« Die Apothekerin aus Echzell fordert: »Deutschland als Produktionsstandort muss wieder attraktiv werden.«
»Wir haben uns in der Praxis ein bisschen mit Fiebermedikamenten eingedeckt«, sagt Prof. Dr. Arno Fuchshuber, der gemeinsam mit Kollegen jeweils eine Kinder- und Jugendarztpraxis in Bad Nauheim und Friedberg betreibt. Er rechnet auch für diesen Winter mit einem Engpass bei Paracetamol und Ibuprofen auf dem Markt. Dass es an Antibiotika mangelt, weiß der Kinder- und Jugendarzt natürlich auch. »Ich habe Eltern, die fünf, sechs, sieben, acht Apotheken angerufen haben, bis sie was bekommen haben.«
Er und seine Kollegen müssten in solchen Fällen flexibel sein und notfalls ein anderes als das ursprünglich vorgesehene Antibiotikum verschreiben. Beispiel Streptokokken: Erste Wahl sei Penicillin. Sei das nicht erhältlich, müsse man eine anderes Antibiotikum verschreiben, das nicht zielgerichtet gegen Streptokokken, sondern breiter gestreut wirke, erläutert Fuchshuber. Das würde man im Idealfall vermeiden, denn wenn ein Antibiotikum breiter wirkt, kann es auch eher zu Resistenzen kommen.
Was der Kinderarzt zur Problematik sagt
Fuchshuber ist sich bewusst, dass der Medikamentenmangel Stress erzeugt: »Es ist mühsam, es ist ein erhöhter Aufwand für die Eltern, für uns und für die Apotheken auch.« Er wünscht sich aber von den Apotheken, dass sie, wenn ein Medikament nicht beschafft werden könne, die Eltern mit alternativen Vorschlägen zu Medikamenten, die vor Ort verfügbar seien, zum Arzt zurückschicken. Er könne dann entscheiden, ob es sinnvoll sei, ein alternatives Medikament für den Patienten zu verordnen.
Mit Blick auf den Winter rechnet Fuchshuber mit verzweifelten Eltern. Das Problem werde sich verschärfen. RS-Virus und Grippe bereiten dem Kinder- und Jugendarzt Sorgen, mit gravierenden Covid-Symptomen bei den Kleinen rechnet er hingegen nicht. »Aber ich empfehle auf jeden Fall die Impfung gegen Grippe - auch bei Kindern.«
Produktionsstandorte und Dumping-Vorwurf
Und jährlich grüßt das Murmeltier, könnte man sagen, denn auch im vergangenen Winter fehlte es an vielen Arzneimitteln. Geändert hat sich anscheinend nicht viel, auch wenn sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich mit einer Mischung aus Optimismus und der Ansage, Anreize für mehr Produktion in Europa und weniger Abhängigkeit von asiatischen Ländern anzustreben, geäußert hat. Aber die Mühlen mahlen langsam, mal eben hierzulande die Medikamentenproduktion extrem zu steigern, ist nicht unbedingt in allen Bereichen realistisch, um es vorsichtig zu formulieren. Der Vorwurf von Apothekern in Richtung Krankenkassen, Verträge mit Dumpingpreisen abgeschlossen zu haben, steht ebenfalls im Raum.