Ein aristokratischer Schöngeist

Friedberg (gk). Wer war Baron Wolf von Harder? Andrej Seuss, Verfasser zweier Studien über die Freundschaften des Friedberger Schriftstellers Albert H. Rausch (pseud. Henry Benrath) mit Andreas Walser und Wolfgang von Maltzahn, stellte am Freitagabend in der Bindernagel’schen Buchhandlung sein auf umfangreichen Archivstudien beruhendes Buch unter dem Titel »Kunst, Bohème und Rinderzucht« über den 1897 geborenen homophilen Wolf v.
Harder aus dem badischen Hochadel vor.
Auch er gehörte in den Jahren zwischen 1914 und 1933 zum Kreis um den Friedberger Henry Benrath. Den Traditionen seiner Familie entsprechend, nahm Harder seit 1915 als Leutnant am Ersten Weltkrieg teil. Dort reifte er zum Pazifisten und Antimilitaristen und nahm 1917 Kontakt zur in Metz erscheinenden »Gazette de Lorraine« auf, als deren aktuelle Herausgeber Albert H. Rausch und Karl Wolfskehl fungierten.
Das von deutschen Militärs in der Hauptstadt des seit 1871 vom Deutschen Reich besetzten »Reichslands« Lothringen herausgegebene Blatt hatte sich die politische Annäherung bzw. Versöhnung zwischen deutschen und französischen Intellektuellen zum Ziel gesetzt.
Auf Rinderfarm in Argentinien
Das von Seuss zitierte Gedicht Harders mit der Überschrift »Fragment« vom März 1917 bringt die Wandlung des 20-Jährigen zum Pazifisten deutlich zum Ausdruck. Dieses und weitere Gedichtzitate (zum Beispiel »Tote« und »Vision« aus dem Geist des Expressionismus) verliehen dem knapp 90-minütigen Vortrag ein hohes Maß an Anschaulichkeit.
Nach Kriegsende 1918 und der vom Versailler Vertrag dekretierten Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich begann Harder ein unstetes Leben unter anderem in Berlin und Paris, wo er Kontakt zu Intellektuellen wie André Gide aufnahm. Den weltoffenen Geist der französischen Metropole, in der Homosexualität nicht mehr als »pervers« stigmatisiert wurde, sog Harder in großen Zügen ein, wie es zum Beispiel in seinem Gedicht »Liberia« zum Ausdruck kommt. Es kreist um eines der zahlreichen, von homophilen Literaten frequentierten Etablissements.
Auch seine Kontakte zum Kreis um Benrath, der seinerseits Beziehungen zum »castrum peregrini« mit Stefan George und seiner Gefolgschaft unterhielt, rissen nicht ab. Eine pro forma geschlossene Ehe Harders war nur von kurzer Dauer. Die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten wird für Wolf v. Harder zur großen Zäsur seines Lebens. Nachdem Teile seiner Familie bereits Ende der 1920er Jahre nach Argentinien ausgewandert waren, um eine ihr gehörige Rinderfarm zu bewirtschaften, verlässt auch er 1933 seine Heimat, um sie nie wiederzusehen.
Fast 30 Jahre - bis zu seinem tödlichen Verkehrsunfall in Buenos Aires im Jahr 1962 - wird er auf der riesigen Farm in der Provinz Entre Rios leben. Kontakte zu einstigen Weggefährten brechen fast völlig ab.
Schloss brennt komplett nieder
Der letzte Teil des Vortrags war Harders Schwester Benita, die ihn um viele Jahre überlebte, gewidmet. Anhand einiger ihrer Briefe erhielten die Hörerinnen und Hörer Informationen über den Niedergang des Harder’schen Latifundiums in der Wirtschaftskrise der 1950er Jahre. Das definitive Ende der Familie kam im Jahr 1982 - als das elterliche Schloss im badischen Sasbach fast bis auf die Grundmauern niederbrannte.
Mit einem Zitat aus Benitas bewegendem Brief über die mehrere 1000 Bücher umfassende Schlossbibliothek - was von ihr übrig blieb, wurde in alle Winde zerstreut - endete der mit viel Beifall bedachte Vortrag von Andrej Seuss.
