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Es musste Mord gewesen sein

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Saxofonist Vincent Dombrowski (l.) hat Jens Wawrczeks besondere Lesung zu einem rundum stimmigen Ereignis im Kesselhaus des Alten Hallenbades werden lassen. © Gerhard Kollmer

Friedberg. Cornell Woolrich: Den 1903 in New York geborenen und 1968 dort verstorbenen Autor von mehr als 50 Kriminalromanen und -kurzgeschichten dürften heute - außer Cineasten und Filmhistorikern - nur wenige kennen. Er lieferte die Vorlage für zahlreiche Werke des »Film Noir« (unter anderem Siodmak, Truffaut und Fassbinder). Neben Da-shiell Hammett und Raymond Chandler gilt er als bedeu-tendster Vertreter der »Black Series«, in deren Filmen häufig Detektive - wie Humphrey Bogart in »The Big Sleep« - die Hauptrolle spielen.

Auch Alfred Hitchcocks Erfolgsfilm »Das Fenster zum Hof« aus dem Jahr 1954 mit James Stewart und anderen beruht auf einer Vorlage von Woolrich - seiner 1942 erschienenen Kurzgeschichte »It had to be murder« (»Es musste Mord gewesen sein«).

Rundum gelungene Darbietung

Als rundum gelungen erwies sich am Samstagabend die komplette Präsentation dieser - man darf sagen - fast genialen Short Story. Jens Wawrczek, unter anderem bekannt als die Stimme von Detektiv Peter Shaw in der Hörspielserie »Die drei ???«, verlieh Hal Jeffries - Hauptfigur aus »It had to be murder« - seine ungeheuer wandlungsreiche Stimme, der das zahlreich im Kesselhaus des Alten Hallenbads erschienene Auditorium mit wachsender Faszination lauschte.

Jeffries sitzt - durch ein Gipsbein weitgehend bewegungsunfähig - etliche Tage fast rund um die Uhr am Fenster seiner Hinterhofwohnung und beobachtet das Geschehen in der gegenüberliegenden Wohnung, als sei er im Kino. Deren Fenster sind - im heißen New Yorker Sommer - fast immer weit geöffnet. Das minuziöse Beobachten und Registrieren hat mit Voyeurismus wenig zu tun.

Zu sehen gibt es nämlich nur Banales, das sich jedoch bald als scheinbar erweisen wird: Eine offenbar kranke Frau liegt im Bett; ihr Mann ist sporadisch anwesend. Irgendwann ist die Frau nicht mehr zu sehen. Aber wann und wie hat sie die Wohnung verlassen? Wo niemand etwas Böses vermuten würde, läuten bei Jeffries nun sämtliche Alarmglocken. Er ist überzeugt, dass der Mann seine Frau ermordet hat.

Präzise Beobachtung, Registrierung auch kleinster Details, kombinieren (das heißt, der Überfülle des Wahrgenommenen eine Struktur bzw. einen Sinn verleihen), schlussfolgern, urteilen: Stunde um Stunde läuft dieser »Mechanismus« nun in Jeffries’ Kopf ab. Telefonisch versucht er den als Mörder Verdächtigten in eine Falle zu locken - was misslingt. Schlimmer noch: Der Mann von gegenüber dreht den Spieß um und trachtet Jeffries nach dem Leben. Der entkommt, um es kurz zu machen, nur mit knapper Not dem Tod - dank der Hilfe seines Freundes Boyne vom New York Police Department, der den Mörder im letzten Augenblick erschießt. Nun bleibt Jeffries nur noch die Klärung der Ursache für den feigen Mord. Es handelt sich - wie er schnell herausfindet - um versuchten Versicherungsbetrug.

Das hier in dürftigen Worten Referierte wird von Wawrczek so ingeniös - mit ständig wechselndem Tonfall, Gestik und Mimik - vorgetragen, dass selbst Hitchcocks Verfilmung kaum dagegen ankommt. So jedenfalls die Meinung des Rezensenten.

Zum großen, mit lang dauerndem Applaus gefeierten Erfolg trug Wawrczeks Begleiter - der Saxofonist Vincent Dombrowski - nicht unmaßgeblich bei. Im jeweils richtigen Moment unterbrach, besser: ergänzte, »verdichtete« er die Lesung mit Free-Jazz-Eigenkreationen.

Woolrich, dessen frühe Romane (wie »Times Square« von 1929) stark vom Jazz der »Roaring Twenties« geprägt sind, hätte seine helle Freude daran gehabt. Gerhard Kollmer

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