Familienstreit eskaliert - Verfahren eingestellt
Friedberg/Wetteraukreis (doe). Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, möglicherweise sogar mit Tötungsabsicht, oder ein Ausrutscher mit dem Fahrzeug auf feuchtem Untergrund? Nach zwei Verhandlungstagen, in deren Verlauf Richter Dr. Markus Bange mehrfach darauf hinweisen musste, dass ein Gericht keine Familientherapie ersetze, wurde das Verfahren gegen den heute 24-jährigen Angeklagten unter Auflagen eingestellt.
Über weite Strecken erinnerte die Verhandlung vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Friedberg an ein Lehrstück über die Ambivalenz dessen, was Familie für einen Menschen bedeuten kann. Im Fall des Angeklagten, der sich in psychotherapeutischer Behandlung befindet, waren dies eher Chaos, Streit und Überforderung. Bereits als Kind sei er »auffällig« gewesen, erinnerte sich der Vater, der auf ausdrücklichen Wunsch des Sohnes in dessen Abwesenheit angehört wurde. Die Ehe der Eltern ging in die Brüche, wegen des Sohnes, wie der Vater angab, und der Junge kam in ein Heim, lebte später bei Pflegeeltern und hatte zu seinem Vater jahrelang keinen Kontakt mehr.
Auf sie zu gerast oder weggerutscht?
Trotz dieser widrigen Umstände schaffte der junge Mann sein Fachabitur und studiert aktuell Erziehungswissenschaften mit dem Ziel, als Sozialarbeiter tätig zu werden.
Auf Bitten der Großeltern wurde im August 2021 der Enkel zu einem »klärenden Gespräch« in die heimatliche Wetteraugemeinde eingeladen. Das Treffen auf einem größeren Außengelände des väterlichen Anwesens endete im Streit. Danach, so sagte es Staatsanwältin Gesine Ritsch in ihrer Anklageschrift, sei der junge Mann zu seinem Fahrzeug gegangen, habe seinen Wagen gestartet und sei damit absichtlich auf den Vater und ein weiteres Familienmitglied losgefahren. Einen Unfall habe lediglich eine niedrige Hecke mit dazwischen stehenden kleinen Eisenpfosten verhindert.
Mit Unterstützung durch seinen Anwalt Alexander Hauer wies der 24-Jährige diese Darstellung des Geschehens zurück. Er sei an diesem Tag bereits vormittags zu Besuch gewesen, mit der Lebensgefährtin seines Vaters in Streit geraten und nach Hause gefahren. Auf Bitten seines Vaters, der sich telefonisch bei ihm entschuldigt habe, sei er am Nachmittag zurückgekehrt. Dabei sei es erneut zu Auseinandersetzungen gekommen.
»Vier Personen haben auf mich eingeredet, das war zu viel«, berichtete der Angeklagte. Er habe einen Tisch umgetreten, sei zu seinem auf der Wiese geparkten Auto gelaufen, losgefahren, ins Rutschen und gerade noch rechtzeitig vor der Hecke zum Stehen gekommen.
Lichtbilder und eine Bestätigung seiner Werkstatt, wonach bestimmte Beschädigungen an seinem Fahrzeug bereits zuvor vorhanden gewesen und nicht erst durch einen Aufprall auf die Hecke entstanden seien, sollten die Erklärung des jungen Mannes untermauern.
Am zweiten Verhandlungstag, in Abwesenheit des Angeklagten, machten die Großeltern von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Sie habe das Geschehen nur aus größerer Entfernung beobachtet, gab die Lebensgefährtin des Vaters an. Der Vater wiederum, der seinen Sohn selbst angezeigt hatte, bat darum, seinen Sohn nicht vozubestrafen.
120 Sozialstunden als Auflage
Nach kurzer Beratung ließ das Gericht die ursprünglichen Vorwürfe fallen. Es nahm allerdings an, dass der Angeklagte seine Verwandten mit dem Auto zwar nicht habe verletzen, aber doch nötigen wollen, und stellte das Verfahren unter der Auflage ein, dass binnen der nächsten sechs Monate 120 Sozialstunden geleistet werden.