Für Inge ist Kläuschen ein lebenslanger Begleiter

Ohne ihr »Kläuschen« geht bei Inge Zahradnik aus Friedberg gar nichts. Kläuschen ist eine Puppe aus der Puppenmanufaktur Schildkröt und hat seit Jahrzehnten einen Stammplatz bei ihrer Besitzerin.
Wer in das Schlafzimmer von Inge Zahradnik kommt, dem fällt in einem Regal zwischen Schmuckdose und Büchern sofort eine kleine Puppe auf. »Das ist Kläuschen, ohne ihn geht bei mir überhaupt nichts«, sagt die 80-Jährige, die seit drei Jahren in Friedberg in der Nähe der Seewiese lebt. »Kläuschen war fast mein ganzes Leben mein Begleiter«, sagt die gebürtige Pfälzerin, die in Frankfurt aufgewachsen ist und vor ihrem letzten Umzug in die Kreisstadt 34 Jahre in Kloppenheim lebte. Auch da saß Kläuschen schon in ihrem Schlafzimmer.
Das Besondere an der Geschichte: Inge Zahradnik, Jahrgang 1942, sollte die Puppe eigentlich gar nicht bekommen. Als sie sieben oder acht Jahre alt war, fuhr die Familie, wie so oft in jener Zeit, ins Saarland, um die Verwandtschaft zu besuchen, darunter Tante Katharina und Cousine Else, die ein Jahr älter war als Inge. Die Puppe hatten Zahradniks Eltern als Geschenk für die kleine Else gekauft.
Damals, Ende der 1940er-Jahre, war das Saarland noch Teil von Frankreich, es durften nur Dinge für den Eigenbedarf mitgenommen werden. Importe und Geschenke waren nicht gestattet. So wurde die kleine Inge von ihren Eltern instruiert, die Puppe fest im Am zu halten, wenn sie beim Grenzübertritt kontrolliert werden.
»Ich musste so tun, als sei es meine Puppe. Das sei eine erlaubte Notlüge, hatten mir meine Eltern erklärt«, erzählt Zahradnik, die sich noch genau an die Kontrolle erinnert: »Wir mussten alle aus dem Zug aussteigen, der Wagen wurde mit Taschenlampen untersucht, auch unser Gepäck. Eine Zöllnerin war besonders streng und hatte einen unangenehmen Befehlston. Da hatte ich richtig Angst.«
Bei den Verwandten in Saarbrücken war sie traurig, dass sie »ihre Puppe« an die Cousine abgeben sollte. Sie nannte die Puppe schon damals Kläuschen. »Ich weiß nicht warum. Das Gesicht sah halt für mich nach Kläuschen aus.«
Die Puppenmanufaktur Schildkröt verkaufte die 37 Zentimeter hohe Vinyl-Puppe als »Strampelchen«, längst ein Klassiker, der seit 1934 bis heute fester Bestandteil im Angebot der Puppenmanufaktur ist. »Mein Kläuschen hatte eine Windel und ein Jäckchen an«, erinnert sich Zahradnik, die damals großes Glück hatte, denn die kleine Puppe gefiel ihrer Cousine überhaupt nicht. »Else wollte eine größere Puppe mit großem Kopf und Haaren«, erinnert sie sich.
In Paris als Au-Pair-Mädchen
Um so größer war die Freude, als Tante Katharina entschied, dass Inge die Puppe behalten durfte. Zahradnik: »Ich hatte mich im Garten schon von Kläuschen verabschiedet.« Doch dann durfte sie Kläuschen wieder mit nach Hause nehmen. Zahradnik: »Seitdem war das meine Lieblingspuppe, mit der ich immer spielte. Die anderen Puppen lagen in der Ecke.« Als sie größer wurde, war Kläuschen stets dabei, ob in ihrer Zeit als Au-Pair-Mädchen in Paris oder nach der Heirat mit ihrem vor zehn Jahren verstorbenen Mann.
Für die Puppe wurde nach jedem der fünf Umzüge immer ein Platz im Schlafzimmer gefunden. Natürlich nagt auch der Zahn der Zeit an dem gut 70 Jahre alten Exemplar. Der angedeutete Haarbereich auf dem Kopf ist etwas zerkratzt, nicht zuletzt dank der fünf Enkel der Mutter zweier erwachsener Kinder. »Die Jungs spielten als kleine Kinder wild mit Kläuschen, der verlor schon mal einen Arm oder ein Bein«, erzählt Zahradnik. Doch in Bad Vilbel gab es ein Ehepaar, das passende Ersatzteile hatte und Puppen reparierte.
Inzwischen sind auch die ersten Enkel schon erwachsen und die »Erbfolge« ist geregelt. Inge Zahradnik: »Meine Enkelin Marie liebt Kläuschen, spielte als Kind immer ganz lieb mit ihm.« So wird zunächst Tochter Andrea und dann Marie Kläuschen erben und sicher genau so liebevoll pflegen, wie Inge Zahradnik, für die eines sicher ist: »So lange ich lebe, werde ich Kläuschen niemals hergeben.«
Wenn Sie altes Spielzeug zu Hause haben, mit dem Sie vor mindestens 60 Jahren ge-spielt haben und uns davon berichten möchten, senden Sie eine E-Mail (Stichwort »Spielzeug«) an redaktion@ wetterauer-zeitung.de.