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Heile Welt fürs kranke Gemüt

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Von: Gerhard Kollmer

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Mobile Literaturseelsorge: Saskia Kästner und Dirk Rave tragen die passenden bayrischen Outfits. © Gerhard Kollmer

Friedberg (gk). Ganz ehrlich: Der eine oder die andere wird sie vor Jahrzehnten vielleicht verschlungen haben. Die Rede ist von der bunten, vor allem heilen Welt der immer genau 64 Seiten langen »Groschenhefte« - als da wären Heimat-, Arzt-, Liebes-, Kriminal- oder Science-Fiction-Romane.

Niemand sollte sich dieser Lektüre schämen, hat sie doch laut »Schwester Cordula« von der »Mobilen Literaturseelsorge« einen positiven Einfluss auf das seelische Befinden einer/s jeden von uns. Saskia Kästner alias Cordula stattete am vergangenen Freitagabend mit ihrem Partner, dem Jungförster und Entomologen Dirk, der Stadt Friedberg einen Besuch ab, um das Publikum im Großen Saal des Theaters Altes Hallenbad einem zweistündigen Dauerangriff auf die Lachmuskeln auszusetzen.

»Unsern Bua, den kriegst net« (dt.: Unseren Buben, den bekommst du nicht): So lautet der verheißungsvolle Titel des im bajuwarischen Alpenvorland angesiedelten Heimat-»Romans«. Dieses Meisterwerk deutscher Sprache nahm Kästner nach allen Regeln der komödiantischen Kunst auseinander. Sie zitierte, persiflierte, sang und visualisierte das dramatische Geschehen um den Hofreiter Blasius und seine unglücklich Verliebte, die Sennerin Mimi, mit Grimassieren und vollem Körpereinsatz.

Ruhender Pol des Ganzen war Jungförster Dirk (in knielanger Krachlederner) mit zum Teil virtuosem Akkordeonspiel und vor allem Zitaten aus einem historischen Schlüsselwerk der Entomologie, nämlich Jean Henri Fabres Schrift über das Liebesleben der Insekten - Küchenschaben, schwarzbeinige Taranteln, gelbflüglige Graswespen, und viele andere.

Die hier nur fragmentarisch wiederzugebende Handlung beginnt, als »der heisere Schrei eines Steinadlers die weißblaue Luft über der einsamen Sennhütte zum Vibrieren brachte«. Sennerin Mimi - ihrem »weichen Bett im feuchten Moos« entstiegen (weil das alte Stroh in der Hütte so pieksig ist) - will gerade zum Kuhmelken aufbrechen, als ihr der schöne, athletische Hofreiter Blasius über den Weg läuft. »Eine heiße Blutwelle schoss durch ihren Körper.« Das Weitere lässt sich unschwer erraten.

Umwerfend komisch, nie albern

Kästner schüttet ein wahres Füllhorn halsbrecherischer Metaphern und unfreiwilliger Stilblüten über den Hörerinnen und Hörern aus. Ja, es ist wirklich zum Totlachen - ohne dass die »szenische Lesung« (und nicht zuletzt das macht ihre Qualität aus) jemals ins Alberne absinkt.

Auch die eingestreuten Songs - nebenbei eine Persiflage des öden, immergleichen Sounds der am Fließband produzierten »Musicals« der letzten Jahrzehnte - sind umwerfend komisch, so zum Beispiel das Hohelied auf den »Naturburschenduft« oder das »Heimatland« nach Melodien aus Carmen, Mozart und anderen Klassikern.

Da die 64 zur Verfügung stehenden Seiten gefüllt und der, vielleicht eher die Leserin nicht gelangweilt sein wollen, betritt die böse schwarzhaarige Heidi, die ein Auge auf den Hofreiter Blasius und dessen stolzes Anwesen geworfen hat, die Romanbühne. Unter Einsatz all ihrer körperlichen Reize gelingt ihr Blasius’ Verführung. Mimi, die ein Kind von ihm »unterm Herzen trägt«, scheint derweil völlig vergessen.

Dann überschlagen sich im Dorf die Ereignisse: Das Hofreiter-Anwesen geht in Flammen auf - trotz heldenhaften Einsatzes der Freiwilligen Feuerwehr (die Schilderung dieser Szene ist eines von vielen Highlights des Abends).

Schnitt: Blasius wird von Heidi (deren dämonisches Lachen so »eiskalt wie ein Gletschermorgen« ist) von der Klippe gestürzt, kann sich aber dank herkulischer Kräfte an einem Felsvorsprung festklammern.

Und zum guten Schluss taucht Mimi aus dem Off auf, um ihren Geliebten - einer »dea ex machina« gleich - aus seiner misslichen Lage zu befreien. Erst nach drei erklatschten Zugaben dürfen »Cordula« und »Dirk« den Saal verlassen.

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