Hilfe für Sehbehinderte

Friedberg/Gießen (pm). Prof. Joaquín Díaz, Dekan des Fachbereichs Bauwesen der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), beschäftigt sich in einem Forschungsprojekt mit der Entwicklung von Blindenleitsystemen in Bauwerken. Öffentliche Gebäude sollten von allen Menschen ohne Schwierigkeiten betreten und genutzt werden können, gibt es doch in Deutschland etwa 1,2 Millionen Menschen, die blind oder sehbehindert sind.
Für ihre Inklusion ist es entscheidend, dass sie sich selbstständig orientieren können. Doch die im Freien etablierten Methoden stoßen in Gebäuden an ihre Grenzen.
Díaz erläutert zum Forschungsansatz: »In unserer immer älter werdenden Gesellschaft benötigen vulnerable Gruppen eine größere Unterstützung, um sich zu orientieren. Daher kommt der Barrierefreiheit und der Orientierung der Menschen in den Gebäuden eine besondere Beachtung zu.« Der Blindenstock ist dafür ein wichtiges Hilfsmittel, mit ihm können taktil erfassbare Leitsysteme wie Bodenstreifen ertastet werden.
Die Anforderungen für taktile und visuelle Erkennbarkeit von Bodenindikatoren sowie sonstiger Leitelemente sind genormt. Entsprechende Bodenindikatoren in textile Bodenbeläge wie Fliesen für Innenräume zu integrieren, hat sich bisher aber als schwierig dargestellt, da diese sich in Haptik, Optik und Eigenschaft stark von den sonst verwendeten Materialien unterscheiden.
Elektronische Blindenleitsysteme bilden eine gute Alternative, allerdings sind GPS-Produkte in erster Linie für die Logistikbranche gedacht. Mit einer Genauigkeit von bis zu drei Metern sind GPS-Daten zudem für Fußgängernavigation nur begrenzt geeignet und funktionieren nicht in geschlossenen Räumen.
Ortung mittels Radiowellen
In seinem Forschungsprojekt zu modularen Blindenleitsystemen für Innenräume auf Basis textiler Bodenbeläge (ModuLeiT) arbeitete Díaz an einem elektronischen Leitsystem, das RFID-Tags nutzt. RFID ermöglicht die Ortung von Gegenständen mittels Radiowellen. Das System besteht aus RFID-Tags, die von einem Lesegerät im Blindenstock gelesen und von einem Datenbanksystem ausgewertet werden. Die Informationen werden dann über eine Sprachsoftware an den Nutzer weitergegeben. Die in dem Forschungsprojekt erstellte Richtlinie für Bodenindikatoren und Navigationssysteme in Innenräumen steht anschließend Herstellern textiler Bodenbeläge zur Verfügung. Die RFID-Tags werden dann als Teil eines RFID-Systems in bestehende Kollektionen eingebaut. Das System wird über eine Schnittstelle mit dem »Building Information Modeling«-Gebäudemodell (BIM) verbunden. Auf dieser Basis wird eine Navigations-App entwickelt, die ein barrierefreies Gebäude ermöglicht. Das BIM-Konzept basiert darauf, dass Bauwerksmodelle unabhängig von der verwendeten Software ausgetauscht werden können. Das ausgearbeitete System aus Indikatoren und Leitsystem wird mit einem Demonstrator durch einen Praxistest mit sehgeschädigten Personen überprüft.
»ModuLeiT« ist abgeleitet aus den Ergebnissen des Forschungsprojektes »RFID-gestütztes, elektronisches Outdoor-Blindenleitsystem«, das im Jahr 2018 abgeschlossen worden ist. Es handelte sich dabei um eine Kooperation des Fachbereichs Bauwesen mit dem Zentrum für Blinde und Sehbehinderte Studierende (BliZ). Der innovative Charakter von »ModuLeiT« ergibt sich aus der Zusammenführung einzelner Disziplinen, Technologien und Methoden wie BIM, Navigations-App, RFID und textile Bodenindikatoren. Der jeweils neueste Stand der Technik wurde in einem Produkt vereint. Das Projekt wird als Kooperation zwischen THM und RWTH Aachen vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert.