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Kinderschutzbund schließt defizitären Hort an der Musterschule

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Im dritten Stock des alten Gebäudes der Gemeinsamen Musterschule in der Friedberger Altstadt ist der Hort untergebracht, einen Stock tiefer die Hausaufgabenbetreuung »Titiwu«. Dort sollen die Hortkinder künftig betreut werden. © Nicole Merz

Die Eltern sind sauer, ratlos, entsetzt: Der Hort in der Gemeinsamen Musterschule in Friedberg soll zum 31. Juli geschlossen werden. Laut Träger schreibt die Einrichtung seit Jahren rote Zahlen.

Der Ortsverband Friedberg/Bad Nauheim des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) hat sich Ende 2022 neu aufgestellt. Ein neuer Vorstand übernahm, und als der in die Bücher sah, wurde ihm schwindlig. Ein Verein, der mehrere pädagogische Einrichtungen betreibt und rund 2 Millionen Umsatz im Jahr verzeichne, könne nicht wie ein Geflügelzuchtverein geführt werden, sagt der neue Geschäftsführer Dirk Michel. »Dafür braucht es wirtschaftlichen Sachverstand.« Da der Hort in den vergangenen Jahren ein sechsstelliges Defizit verursacht habe, bleibe nur übrig, ihn zu schließen.

Für die Eltern ein Schlag in die Magengrube. Wie soll es jetzt weitergehen? Die Eltern, die sich am Montag in den Räumen des Horts treffen, ein gutes Dutzend, arbeiten teils in Frankfurt, sind auf die Kinderbetreuung bis 17 Uhr, die der Hort gewährleistete, angewiesen. Verärgert sind sie auch über die Vorgehensweise des neuen DKSB-Vorstands. Am 23. Juni erhielten sie ein dünnes Schreiben, sechs Sätze, darunter die unmissverständliche Botschaft: »Der Betreuungsvertrag endet damit zum 31. Juli 2023.« Als Ersatz für den Hort, der im dritten Stock des alten Schulgebäudes in der Augustinergasse in der Friedberger Altstadt untergebracht ist, bietet der DKSB den Kindern einen Betreuungsplatz in der Schülerbetreuung »Tituwu« an, genau ein Stockwerk unter dem Hort gelegen und ebenfalls vom DKSB betrieben. Allerdings nicht mit pädagogischem Fachpersonal, sondern mit Betreuerinnen. Und bislang nur bis 16 Uhr (mittlerweile wird 17 Uhr geplant).

»Es gab vorher keinerlei Austausch mit den Eltern«, sagt ein Vater, der auch auf die Schulleitung sauer ist. »Die sucht nicht den Dialog mit uns.« Es habe keinerlei Infos gegeben. »Es heißt, die Kinder sollen in der Betreuung gefördert werden. Wie soll das gehen, bei einer Betreuungskraft für 20 oder mehr Kinder?«

Eine Mutter, deren Kinder seit sieben Jahren Schule und Hort besuchen, sagt, sie habe in all denen Jahren nicht einen Elternbrief des DKSB erhalten. »Es gab keinen Austausch.« Eine andere Mutter spricht räumliche Fragen an: »Wie sollen alle Kinder im ›Titiwu‹ betreut werden?« Das seien dreimal soviele wie jetzt. Die Eltern ärgert auch, dass alles schon abgesprochen und beschlossen ist, ohne dass sie ein Wort mitreden durften. Das bestätigt der DKSB in einem zweiten Brief: »Die Schließung des Hortes wurde mit dem Wetteraukreis sowie der Schulleitung abgestimmt.« Warum habe man sie nicht früher informiert? »Wir hätten Spenden sammeln können«, sagt eine Mutter. Jetzt fühlen sie sich »vollkommen überrannt« von der Endgültigkeit der Entscheidung.

»Titiwu« soll alle Kinder aufnehmen

In der Schule seien Umbauten geplant, weiß eine Mutter. Genaueres wissen die Eltern nicht. Was sie wissen: Im Alternativangebot »Titiwu« sind Hilfskräfte beschäftigt, ohne pädagogische Ausbildung. Die Eltern sind besorgt. »Ist das eine Betreuung oder eine Aufbewahrung der Kinder?«, fragt ein Vater. »Die Kinder sollen Spielimpulse bekommen, man muss ihnen Angebote machen. Jedes Kind ist unterschiedlich. Das eine braucht nach der Schule Ruhe, das andere muss sich austoben.« Wie das angesichts des geringeren Personalschlüssels im »Titiwu« und ohne Fachkräfte funktionieren soll, wissen die Eltern nicht.

Der Hort habe auch deshalb gute Arbeit geleistet, weil dort Fachkräfte beschäftigt sind. Fachkräfte, denen die Kündigung in Aussicht gestellt wurde. »Schriftlich haben wir noch nichts«, hört man.

Beim Kinderschutzbund hört sich das alles etwas anders an. »Wir wollen eine zeitgemäße, adäquate Betreuung für alle Kinder der Musterschule anbieten«, sagt Dirk Michel. Das über Jahre aufgebaute Defizit sei groß, das könne man nicht länger wirtschaftlich tragen. Viel zu spät sei die Reißleine gezogen worden. Michel verspricht: »Alle im Hort angemeldeten Kinder werden ein Betreuungsangebot erhalten.« Die Öffnungszeit des »Titiwu« werde auf 17 Uhr ausgeweitet. Die Kinder würden im Klassenverband betreut, gingen gemeinsam zum Mittagessen in die Mensa, erledigten ihre Hausaufgaben.

»Als Kinderschutzbund müssen wir das Augenmerk mehr auf sozial benachteiligte Kinder werfen«, sagt Michel. Aber auch sonst gebe es im Verein viel Aufräumarbeit zu leisten. »Buchhaltung und Personaldaten müssen digitalisiert werden. Viele Prozesse müssen optimiert werden«, sagt der ehemalige Banker, der auf nachdrücklichen Wunsch des neuen Vorstands die Geschäftsführung übernahm. »Sonst hätte der Vorstand das Handtuch geworfen.«

Stadt zahlt jährlichen Zuschuss

Von der Stadt Friedberg, die jährlich rund 67 000 Euro für den Betrieb des Hortes zuschießt, erwartet Geschäftsführer Dirk Michel keine Hilfe. Ihm sei durch die Blume gesagt worden: Wenn der Hort schließe, spare man Geld. Die Stadt, berichtet wiederum Erste Stadträtin Marion Götz (SPD), habe erst durch eine Mutter von der bevorstehenden Schließung des Horts erfahren und dann sofort selbst Erkundigungen eingeholt. Götz: »Es gab zu keiner Zeit eine Anfrage des Trägers an die Stadt, ob sie dem DKSB finanziell noch stärker als bisher ›unter die Arme greifen‹ kann.«

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