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Konjunktur im Abwärtsstrudel

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Pegasus-Geschäftsführer Andreas Finkernagel (Mitte), Gastgeber der diesjährigen IHK-Konjunktur-Pressekonferenz, freut sich über eine Urkunde zum 30-jährigen Jubiläum seiner Firma. Er überreicht IHK-Präsident Rainer Schwarz (links) und IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder seinerseits mit »Dorfromantik« das »Spiel des Jahres 2023« aus seinem Verlag. © Julian Simon Wessel

Die wirtschaftlichen Aussichten für Unternehmen in Mittelhessen haben sich erneut dramatisch verschlechtert. Das ergibt eine aktuelle Umfrage der IHK Gießen-Friedberg.

Die wirtschaftlichen Aussichten für Unternehmen im Bereich der IHK Gießen-Friedberg haben sich erneut stark eingetrübt. Schuld sind die anhaltend hohen Energie- und Rohstoffpreise, der Fachkräftemangel, die hohen bürokratischen Belastungen der Betriebe sowie das zurückhaltende Konsumverhalten.

Das ergibt eine Umfrage der IHK, die 272 Betriebe in den Kreisen Gießen, Wetterau und Vogelsberg zur wirtschaftlichen Situation befragt hatte. Die Ergebnisse der Umfrage stellten IHK-Präsident Rainer Schwarz und Hauptgeschäftsführer Matthias Leder am Freitag in den Räumen des Friedberger Unternehmens Pegasus Spiele vor.

Zu Jahresbeginn hatte sich noch ein »vorsichtiger Optimismus« abgezeichnet, im Sommer hatten Exporte angezogen, Lieferengpässe nachgelassen: »Doch dann haben sich diese positiven Anzeichen innerhalb kürzester Zeit in Luft aufgelöst«, sagte Schwarz.

Schlechter als in der Corona-Krise

Die angespannte Lage lässt sich am IHK-Konjunktur-Klimaindex ablesen, der die Lagebeurteilung und die Erwartungen an die zukünftige Geschäftslage ermittelt. Demnach stellt sich der Kreis Gießen am positivsten dar. Dort erzielt der Index einen Wert von 95,6 (Skala zwischen 0 und 200). Noch im Frühjahr waren die Betriebe aus Gießen, Heuchelheim, Linden oder Pohlheim auf einen Wert von 104,1 gekommen und hatten über der Zufriedenheitsschwelle von 100 gelegen. »Als dienstleistungsstarke Region ist im Kreis Gießen dennoch mehr Optimismus erkennbar als in den anderen beiden Bezirken«, sagte Leder.

Der Wetteraukreis erreichte einen Klimaindex von 89,5 (im Frühsommer noch 101). Die westliche Wetterau mit Butzbach, Bad Nauheim, Rosbach oder Bad Vilbel schneidet laut Leder etwas besser ab als der Osten, »nicht zuletzt wegen überproportional vieler Unternehmen in der ersten Liga der Veranstaltungstechnik«.

Mit einem Wert von 77,2 belegt der Vogelsbergkreis den dritten Platz (zuvor 96,5). Den immensen Absturz innerhalb eines halben Jahres bezeichnete Leder für Unternehmen um Alsfeld und Lauterbach als »dramatisch«.

Nur Dienstleister sind zufrieden

Nur zehn von 100 befragten Unternehmen im IHK-Bezirk erwarten laut der Umfrage bessere Geschäfte im kommenden Jahr, rund jedes fünfte bezeichnet die aktuelle Geschäftslage als schlecht. Der aktuelle Konjunktur-Klimaindex erreicht damit lediglich 89,9 Punkte - ein deutliches Minus gegenüber der letzten Befragung im Frühsommer, wo er noch bei 101,2 Punkten lag. Die Zahl markiert außerdem den drittschlechtesten Wert seit 2010.

»Unsere Unternehmen müssen mit zu vielen Herausforderungen gleichzeitig zurechtkommen: die höchsten Strompreise, die höchsten Steuerbelastungen in der EU, eine marode Infrastruktur und die finanziellen Auswirkungen der Energiewende«, sagte Leder.

Als einzige Branche oberhalb der Zufriedenheitsschwelle konnte er die Dienstleister mit einem Wert von 103 anführen. Einsamer Spitzenreiter ist das Kreditgewerbe (147,9 Punkte).

Die drei befragten Landkreise liegen im Hessen-Trend: Aktuell weist das Bundesland einen Klimaindex von 90,9 auf, den zweitschlechtesten Wert seit 13 Jahren: »Noch schlechter als in der Corona-Pandemie«, fasste Leder zusammen.

Einzelhandel besonders betroffen

Mehr als jedes zweite Unternehmen im IHK-Bezirk nennt Energie- und Rohstoffpreise als größtes Risiko der Geschäftsentwicklung. »Jetzt kommt zum Krieg in der Ukraine noch der Angriff der Hamas auf Israel hinzu. Wenn sich dieser Konflikt ausweiten sollte und weitere Parteien in das Kriegsgeschehen einsteigen, könnte das weitere negative wirtschaftliche Folgen in Deutschland nach sich ziehen - insbesondere im Hinblick auf Energie- und Warenpreise«, erklärte Schwarz.

Besonders schwierig ist die Situation im Einzelhandel. »Weit abgeschlagen« ist dabei der Landkreis Gießen. Darin spiegelt sich laut Leder der Gießener Verkehrsversuch wider, der bei Händlern der Innenstadt zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt habe. Das Baugewerbe leide massiv unter den steigenden Baukosten und den zunehmend schlechteren Finanzierungsbedingungen. Im IHK-Bezirk verzeichnen lediglich 18,8 Prozent der Betriebe eine gute aktuelle Geschäftslage. Von einer Insolvenz bedroht sieht sich allerdings aktuell kein Unternehmen, die Finanzlage ist bei 53,3 Prozent der Unternehmen unproblematisch. Knapp 56 Prozent der Unternehmen geben Fachkräftemangel als Risiko für ihre Geschäftstätigkeit an.

Gibt es auch positive Impulse? Künstliche Intelligenz habe zuletzt für eine enorme »digitale Sprunginnovation« gesorgt, sagte Schwarz. Damit erkennt der IHK-Präsident einen Hoffnungsschimmer, zumindest für die IT-Branche: »Bleiben wir zuversichtlich!«

INFO

Eine Erfolgsgeschichte: Pegasus-Spiele

Gerne hätten Rainer Schwarz und Matthias Leder mehr Positives aus der heimischen Wirtschaft verkündet. Umso mehr freuten sie sich für den Friedberger Spieleverlag Pegasus als leuchtendes Gegenbeispiel der IHK-Konjunkturanalyse. 1993 von Karsten Esser und Andreas Finkernagel als kleiner Fantasy-Laden gegründet, hat sich das Unternehmen zum »Sternekoch unter den Spieleverlagen« (Schwarz) mit 60 Angestellten entwickelt und operiert weltweit. Von einer Niederlassung im amerikanischen Minneapolis konnte Geschäftsführer Finkernagel berichten, außerdem von Neubauten auf dem Betriebsgelände: Hier entstehen Büroflächen, mietbare Spielräume und ein Outlet-Store. Als Erfolgsgeheimnis gab Finkernagel die zahlreichen Auszeichnungen preis, die der Verlag einheimsen konnte: Ein Etikett wie »Spiel des Jahres« könne die Auflage eines Spiels um das Hundertfache steigern. Der Trend für Gesellschafts- und Brettspiele sowie Puzzles in der Corona-Zeit habe dem Unternehmen zusätzlich einen Schub gegeben und sei nicht durch Computerspiele abgelöst worden. Dass die Nachfrage inzwischen wieder nachlässt, ist für Finkernagel »ausgleichende Gerechtigkeit« nach einer »brillanten Entwicklung«

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