Mit den Lehren Sebastian Kneipps gegen Post-Covid

Dr. Beate Vogtherr und Dr. Lutz Ehnert, Vorsitzender des Kneippvereins Bad Nauheim-Friedberg-Bad Salzhausen, haben eine spezielle Anwendung entwickelt, um bei Spätfolgen zu helfen.
Post-Covid heißt, dass die Beschwerden noch länger als zwölf Wochen nach der Ansteckung mit dem Corona-Virus bestehen. Betroffene sind erschöpft, unkonzentriert, ihnen fehlt die Luft, ihre Muskeln und Gelenke schmerzen. Auch Kopfschmerzen zählen dazu. Es gibt stationäre Kuren für Corona-Patienten, aber keine ambulante. Diese Lücke wird nun in dem zertifizierten Kneipp-Gästehaus in Bad Nauheim geschlossen.
Anwendungen nicht nur präventiv
»Ein gesunder und ausgewogener Lebensstil hat entscheidenden Einfluss auf die Abwehrkräfte und das Immunsystem«, sagt Dr. Lutz Ehnert, der Kneipp-Experte aus Hessen. Der Prävention kommt bei Kneipp eine entscheidende Rolle zu. Die Wirkprinzipien, die der Pfarrer (1821-1897) vor allem in Bad Wörishofen verfeinerte, sorgten weltweit für Furore und sind heute wissenschaftlich begründet. Der berühmte »Wasserdoktor« legte mit seinen etwa 120 Wasseranwendungen, vom Tautreten bis zum Ganzkörperguss über Wickel und Bäder die Basis, kombinierte sie mit der Kräuterheilkunde. Er gab bereits vor etwa 150 Jahren Tipps für eine vollwertige Ernährung. Zudem riet er seinen Patienten, sich zu bewegen.
Schon damals appellierte er dafür, bei einer Behandlung nicht die Seele zu vergessen. Die Elemente Wasser, Ernährung, Bewegung, Kräuter und die innere Ordnung greifen ineinander. »Um den Körper vor Ansteckungen zu wappnen, können wir uns auf die natürlichen, naturheilkundliche Ressourcen verlassen. Sie stärken unser Immunsystem und die psychische Widerstandskraft«, rät Ehnert.
Das Konzept von Ehnert und Vogtherr basiert auf der Behandlung von chronischen Lungenerkrankungen. Coronaviren können die Lunge schädigen und auf vielfache Weise zu Atemproblemen führen. Über 16 Millionen Menschen haben sich laut Robert-Koch-Institut seit Beginn der Pandemie mit Corona infiziert. Und damit steigt auch die Anzahl derer, die an Long-Covid, also bis zwölf Wochen nach einer Infektion oder an Post-Covid leiden. »38,3 Prozent der kontaktierten Überlebenden, haben über Symptome berichtet, die vor Covid-19 nicht bestanden und seit der akuten Infektion anhielten«, sagt Sektionsleiter Prof. Dr. Winfried Häuser von der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie, Endokrinologie, Infektiologie, Sektion Psychosomatik auf eine Anfrage des Kneipp-Bunds.
Widerstandskräfte aktivieren
Im Arabella in Bad Nauheim wird neuerdings eine Post-Covid-Kompaktwoche nach Kneipp angeboten. Hotelinhaberin Heidi Siegesmund ist unter anderem Kneipp-Gesundheitstrainerin (SKA), weiß um die Möglichkeiten des Naturheilverfahrens. Das Programm soll als eine aktiv gestaltete Gesundheitspflege zur Regeneration von Post-Covid-Patienten gesehen werden, sagt die Hotelchefin, die mit Dr. Ehnert zusammenarbeitet. Das Ziel ist die Steigerung der allgemeinen Widerstandskraft von Körper, Geist und Seele gegen innere und äußere Stressfaktoren. Die einwöchigen Anwendungen enthalten unter anderem eine Untersuchung und Beratung durch Kneipparzt Dr. Lutz Ehnert. Der Gast erhält einen Wochenplan mit empfohlenen Anwendungen, er erlernt das gesundheitsfördernde Wassertreten, das sowohl im Hotel als auch im Gesundheitsgarten durchgeführt werden kann. Das Taulaufen als Abhärtungsübung für den Einstieg und je nach Witterung auch das Schneetreten können im eigenen Garten geschehen. In dem Energiezentrum werden Achtsamkeitstraining, Meditation, Stressabbau für innere Ruhe und Gelassenheit angeboten. In dem Paket sind unter anderem ein Aktivplan für Bad Nauheim mit Informationen und Anleitungen für den Gesundheitsgarten und für das Freiluftinhalieren in den Gradierwerken enthalten. Es gibt zudem Tipps zur gesunden Lebensweise im Sinne von Sebastian Kneipps. Auf den Zimmern finden die Gäste ein Kneipp-Gießhandstück, mit dem sie selbstständig zum Beispiel Knie- oder Armgüsse wiederholen können.
Den Körper zu einer Reaktion animieren
Das Prinzip der Kalt-Wasseranwendungen beruht auf dem Reiz-Reaktionsprinzip. Ein adäquater Reiz, also das kalte Wasser, das auf die Rezeptoren der Haut trifft, bringt den Körper in Alarmbereitschaft. Denn dieser ist bestrebt, die Körperkerntemperatur, die homöostatisch geregelt ist, konstant zu halten. Der Körper reagiert in erster Linie mit einer verstärkten Durchblutung für diesen Ausgleich. Durch gezielte Wasseranwendungen können der Stoffwechsel, das Herz-Kreislaufsystem, das Immun- und das Hormonsystem und auch das Vegetativum beeinflusst werden.
Die Kosten für die Anwendungen müssen von den Patienten noch selbst übernommen werden. Möglich sind eine Woche oder auch drei Wochen. »Der Bedarf ist da«, ist Dr. Lutz Ehnert überzeugt.
Auch der Kneippbund Deutschland ist inzwischen hellhörig geworden und spielt mit dem Gedanken, das hessische Modell für sich zu übernehmen.
