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Quer durchs Land ins Nirgendwo

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Von: Sabrina Dämon

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Lamia Mekhael-Maksso hat für das Buch »Ausgewundert« über ihre ersten vier Jahre in Deutschland geschrieben. Eine Zeit, die sie und ihre Familie vor allem in Unterkünften für Geflüchtete verbracht haben. © pv

Lamia Mekhael-Maksso hat für das Buch »Ausgewundert« ihre Erinnerungen der ersten Jahre in Deutschland aufgeschrieben. Eine zeit , die sie, ihr Mann und die Kinder vor allem in Asylunterkünften verbrachten.

Am Anfang gab es viel zu tun. Wohnung streichen, einrichten. Lamia Mekhael-Maksso und ihr Mann hatten kaum Zeit, sich in der neuen Umgebung umzuschauen. Das Ehepaar und die zweijährige Tochter waren gerade von Syrien nach Frankfurt gekommen. Lamia Mekhael-Maksso ist gebürtige Irakerin, ihr Mann Syrer. Es ist 1996, als sie sich entscheiden, nach Deutschland auszuwandern.

Sie haben schon viel über Deutschland gehört. Ihre Mutter und Schwester leben bereits seit fünf Jahren in Frankfurt - und haben gerade eine neue Wohnung in einem Vorort gefunden. Die Neuankömmlinge helfen beim Umzug. Zwei Wochen später gehen sie zur Einwanderungsbehörde. Und werden quer durch Deutschland geschickt.

Lamia Mekhael-Maksso erinnert sich gut an diese Zeit vor über 20 Jahren. In dem Buch »Ausgewundert« schreibt sie darüber. Sie ist eine von sechs Frauen, die irgendwann nach Deutschland gekommen sind und in dem Buch ihre Geschichte vom Ankommen und vom Wundern erzählen.

Einen Tag lang sitzen die Mekhael-Makssos in der Einwanderungsbehörde, bis man ihnen mitteilt, wo sie hinsollen. »Die Entscheidung war ein Schock für uns.« 450 Kilometer von Frankfurt entfernt in eine Asylunterkunft. Sie bekommen ein Zugticket. Das Ziel: Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Der Weg dorthin: eine für den deutschen ÖPNV typische Odyssee…

Die Fahrt beginnt gut, mit dem ICE von Frankfurt nach Magdeburg. Das Abteil teilen sie sich »mit einer schönen, jungen und eleganten Frau Anfang 30«. Sie reden in Englisch über verschiedene Länder, erzählt Lamia Mekhael-Maksso. »Ich vergaß für einen Moment, dass wir Asylsuchende und keine Touristen waren.«

Kompliziert wird es ab Magdeburg - von dort geht es in die Provinz. Von einem Zug in den Anschlusszug. An ihrer Endstation angekommen, weiß die Familie nicht weiter. Kein Mensch weit und breit. Irgendwann jedoch trifft die Familie auf eine Gruppe aramäisch sprechender Männer. Sie wohnen in derselben Unterkunft, die die Mekhael-Makssos suchen, und fahren das letzte Stück mit der Familie in der Straßenbahn. Von dort geht es weiter zu Fuß. »Der Weg war von hohen Bäumen umgeben und wurde nicht ebener. Während wir den Pfad entlangliefen, kamen uns weder Passanten noch Autos entgegen.« Lamia Mekhael-Maksso ist schwanger. Und hat ihre zweijährige Tochter dabei, die nicht mehr weitergehen möchte, sich aber von niemandem tragen lassen will, außer von der Mama. Nach über einer Stunde kommen sie an. Die Unterkunft ist in einer alten Kaserne, der Eingang ist ein eisernes Drehtor. »Zuerst ging mein Mann hindurch und dann ich mit meiner Tochter auf den Armen und meinem Sohn in meinem Bauch.«

Für die kommenden vier Jahre wird die Familie in Asylunterkünften leben. Weil Lamia Mekhael-Makssos Mann keine Aufenthaltserlaubnis bekommt, wie sie erzählt. Sie selbst habe eine gehabt - da sie aus dem Irak stammt.

In dem Buch »Ausgewundert« erzählt sie von den Erlebnissen in den Unterkünften. Von den vielen Menschen, die sie dort treffen, mit denen sie zum Teil Zimmer oder Wohnungen teilen. Von Problemen untereinander, aber auch von gegenseitiger Hilfe unter den Bewohnern.

Nach zwei Monaten wechselte die Familie die Unterkunft. Ein altes Armeelager »außerhalb der Stadt, umgeben von einem Zaun, mit Polizeihunden und Wachen an den Toren« wird ihr neues Zuhause. Sie teilen das Zimmer mit einer Familie, die zwar nett gewesen sei, »weil es aber keine gemeinsame Sprache gab, verstanden wir uns nicht«. Problematisch sei vor allem der Geruch gewesen: »Der Gestank von durchnässten Kleidern war heftig. Jedes Mal, wenn wir zum Lüften das Küchenfenster öffneten, schloss der Mann es wieder.« Daher, schreibt Lamia Mekhael-Maksso, »sind wir tagsüber meist unterwegs gewesen«.

Es dauert noch eine Weile, bis die Mekhaels sich ein eigenes Leben aufbauen können. Vier Jahre nach der Ankunft, im Jahr 2000, bekommt er die Aufenthaltserlaubnis - und darf von da an arbeiten. Er findet eine Stelle in Bad Vilbel, und die Familie zieht zurück nach Hessen. Seither leben Lamia Mekhael-Maksso, ihr Mann und die drei Kinder in der Wetterau.

Nun, für das Buch, hat sie sich an die erste Zeit in Deutschland erinnert. Es war nicht immer einfach, sagt sie. Doch: »Ich hatte immer eine optimistische Sichtweise und sah die Schwierigkeiten, mit denen ich konfrontiert wurde, als Lektion des Lebens an.«

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»Ausgewundert« ist ein Buch übers Ankommen und übers Wundern. Sechs Frauen erzählen darin die Geschichten ihrer ersten Tage und Wochen im neuen Leben in Deutschland. Auf die Idee, die Lebensgeschichten der Frauen festzuhalten, kam Angela Klein, Deutsch-Dozentin in der Erwachsenenbildung. Sie lernte die Frauen im Deutschkurs kennen und konnte sie dazu motivieren, die Geschichten zu schreiben.

Die Geschichte von Lamia Mekhael-Maksso trägt den Titel »Vom Nahen Osten in die Asylunterkunft«. Hier ein paar Auszüge aus ihrem Text.

Zu der Zeit, als wir in der Asylunterkunft ankamen, hatten einige Bewohner die Windpocken. Auf den Gesichtern und Körpern waren weiße Flecken zu sehen. Manchmal sahen diese Flecken lustig aus und manchmal beängstigend. Deshalb fürchtete sich meine Tochter und weinte, wenn sie ein seltsames Gesicht sah. Vom Wetter her war es ein wunderschöner Frühling, aber wir konnten ihn nicht genießen, weil wir zunächst schockiert waren. (...) Die Toiletten und Duschen wurden geteilt. Sie waren nicht sauber und oft verstopft. Wir duschten erst nach zwölf Uhr nachts, wenn die anderen Asylbewohner schliefen und wir die Tür zur Dusche abschließen konnten.

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Natürlich hatten wir keine andere Wahl, als uns mit der deutschen Sprache zu befassen. Gott sei Dank konnte ich Englisch fließend lesen, schreiben, sprechen. (...) Die Leute aus der Asylunterkunft kamen zu mir, um für sie zu übersetzen - aus dem Arabischen ins Englische oder zurück.

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Die meisten Bewohner des Lagers kauften in einer zehn Kilometer entfernten Stadt ein. Der Weg dorthin führte durch den Wald (...). Eines Abends brauchten wir Mehl und Milch. Es war schon spät, trotzdem fuhr mein Mann mit dem Fahrrad los, um einzukaufen. Auf dem Rückweg war es dunkel, und während er durch den Wald fuhr, bemerkte er, dass ihn etwas oder jemand verfolgte. Von Angst getrieben trat er schneller in die Pedale. Doch auch die Verfolger liefen schneller und versuchten, ihn einzuholen. (...). Als er schließlich den Wald verließ, hörte er Stimmen in einiger Entfernung und warf einen Blick hinter sich. Die Verfolger im Wald waren unsere Nachbarn aus Albanien gewesen. Als sie meinen Mann einholten, fingen sie an zu lachen. Da sie auch Angst gehabt hatten, wollten sie mit ihm gemeinsam durch den Wald laufen. (...) So wurde diese Geschichte zum Gesprächsthema der nächsten Tage in der Unterkunft.

Das Buch »Ausgewundert« ist im Selbstverlag erschienen. Es ist zurzeit vergriffen, wird aber bereits nachgedruckt. Es wird dann ab Mitte Januar wieder erhältlich sein. Infos und Kontakt: ausgewundert@gmail.com.

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