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Ranstadts Rathauschefin ruft zu pragmatischem Vorgehen auf

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Von: Carsten Woitas

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In vielen Kommunen - besonders im Osten des Wetteraukreises - befürchtet man, dass es in Schulturnhallen oder Gemeinschaftshäusern bald wieder so aussehen könnte: Feldbetten statt Tischen oder Sportgeräten, weil sie erneut als Flüchtlingsunterkünfte dienen müssen. Eine Lage, die man gerne vermeiden würde. SYMBOL © DPA Deutsche Presseagentur

Die steigenden Zuweisungszahlen Geflüchteter bringen den Wetteraukreis und seinen Kommunen an ihrer Grenzen. Cäcilia Reichert-Dietzel spricht über Versäumnisse und mögliche Lösungansätze.

Vor immensen Problemen sieht Cäcilia Reichert-Dietzel, Ranstadts Rathauschefin und stellvertretende Sprecherin der Bürgermeister-Dienstversammlung, derzeit die Kreiskommunen. Neben den vielen Geflüchteten aus der Ukraine steigen die Flüchtlingszahlen aus anderen Kriegs- und Krisengebieten, sogenannte Weltflüchtlinge. Der Wetteraukreis stößt mit den Zuteilungen von Land und Bund an seine Grenzen und fordert Unterstützung der Kommunen bei der Unterbringung an. Andernfalls könnten kreiseigene Liegenschaften, wie Schulturnhallen, bald wieder zu Notunterkünften werden.

Bereits Ende 2021 gewarnt

Das hätte aus Reichert-Dietzels Sicht nicht so weit kommen müssen, denn zu verschiedenen Gelegenheiten, auch schon vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, hatten Rathauschefinnen und -chefs die Kreisspitze zum Handeln aufgefordert und um ein Konzept zum Umgang mit erneut steigenden Zuweisungszahlen gebeten. Dort seien sie aber auf taube Ohren oder Tatenlosigkeit gestoßen, erzählt Reichert-Dietzel. So warnte schon Ende 2021 eine Abordnung der Bürgermeister vor einer sich abzeichnenden neuen Welle an Weltflüchtlingen und bat, sich rechtzeitig vorzubereiten. »Wir wollten vor die Welle kommen, bevor sich diese aufbaut. Leider zog man in der Kreis-Koalition nicht mit«, konstatiert Reichert-Dietzel.

Viele ihrer Kollegen fühlen sich von der Kreisspitze aktuell nicht ausreichend unterstützt. Vielmehr mute es so an, als wolle man hier ein Problem an die nächst niedrigere Stufe delegieren. Wobei die Rathauschefin durchaus Verständnis für den Landrat äußert, der »die Lage ja auch menschlich bewältigen muss«.

Dennoch lande damit auch der Schwarze Peter in den jeweiligen Rathäusern, wie die Beispiele Kefenrod oder Ortenberg gezeigt hätten. Aufgewühlte und verärgerte Bürger machten ihrem Unmut über Zuweisungen im großen Stil Luft. Dabei gebe es laut Reichert-Dietzel viel Hilfsbereitschaft in Oberhessen. »In den vergangenen Jahren habe ich dies oft genug erlebt - bei den Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, den Menschen, die 2015 hierher kamen und jetzt den Geflüchteten aus der Ukraine. Immer standen und stehen helfende Hände bereit. Aber man darf die Menschen nicht überfordern«, warnt Reichert-Dietzel. Zwei Jahre Pandemie, die Energiekrise, ausgelöst durch Russlands Angriffskrieg, die Inflation. »Die Menschen haben Ängste und Sorgen, dem dürfen wir uns nicht verschließen.

Reichert-Dietzel möchte Sorgen aufnehmen und Lösungen suchen

Auch dafür haben wir als Bürgermeister, Landräte oder Ministerpräsidenten einen Eid abgelegt, uns um diese Belange zu kümmern. Dazu stehe ich genauso, wie zu Artikel 1 des Grundgesetzes, zur Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen, was auch diejenigen einschließt, die vor Gewalt, Tod und Lebensgefahr zu uns flüchten«, stellt Reichert-Dietzel klar. Wichtig ist für sie, gegenwärtig Präsenz zu zeigen und mit den Menschen zu reden, ihre Sorgen aufzunehmen und Lösungen zu suchen. Tue man dies nicht, öffne man dem rechten Rand mit seinen populistischen Parolen Tür und Tor. »Diese bieten sich als vermeintliche Helfer und Fürsprecher an. Das ist gefährlich«, betont die Rathauschefin. Hier wünscht sie sich mehr Präsenz von Landrat und Kreisbeigeordneten vor Ort, um die Situation zu erklären, zuzuhören und zu signalisieren, dass die Bürger nicht allein sind.

»Wir erleben erneut eine Krise, wie Corona- oder Energiekrise. Doch ein konzertiertes Vorgehen fehlt, das Kräfte bündelt und gemeinsam Lösungen erarbeitet«, sagt die Bürgermeisterin. Ihr schwebt eine Task-Force auf Kreisebene vor, die ämterübergreifend arbeitet. Auch könne man aus der Vergangenheit lernen, etwa der FlüchtlingshilfeGMBH in den 80er Jahren. Sie fordert zudem, die Lage in den Kommunen differenziert zu betrachten. So gebe es in der Kommunen des Westkreises häufig mehr als eine Schulturnhalle. Da falle es leichter, eine solche zur Flüchtlingsunterkunft umzufunktionieren. Im Ostkreis gebe es oft nur eine in einer ganzen Kommune, mit großen Auswirkungen, falls diese wegfalle.

Dezentrale Vorgehensweise

Dass kurzfristig keine großen Würfe mehr möglich sind, ist der Rathauschefin klar. »Wir werden den Einsatz von Massenunterkünften nicht mehr abwenden können. Wobei ich Leichtbauhallen zur Unterbringung Geflüchteter für geeigneter halte, als Turnhallen. Nicht nur weil Turnhallen auch anders nutzbar sind.« Allgemein wäre es besser, die Aufgabe kleinteiliger, dezentraler anzugehen. Das erhöhe die Akzeptanz vor Ort und überfordere die Kräfte nicht. »Was wir jetzt brauchen, ist ein pragmatischer Ansatz, der zeitnah Erfolge bringt, ohne die Menschen vor Ort zu überfordern«, so Reichert-Dietzels Fazit.

INFO: Langfristige Konzepte

Neben der Herangehensweise einer übergeordneten Taskforce mit Beteiligten mehrerer Ämter und Kommunen, um Wissen und Personal aus mehreren Bereichen zu bündeln, setzt sich Cäcilia Reichert-Dietzel auch für langfristige Konzepte zur Bewältigung der steigenden Flüchtlingszahlen ein. Bereits von anderthalb Jahren brachte sie dazu ein Konzept ins Spiel. »Die Idee fußt auch auf den Plänen für eine kreisweite Wohnungsbaugesellschaft. Mit ihr hätte der Kreis bereits vor einiger Zeit leerstehende Immobilien, vornehmlich im Ostkreis, zu günstigen Konditionen ankaufen und herrichten können. Die wären dann als Unterkünfte für Geflüchtete nutzbar gewesen«, so Reichert-Dietzel. In Ranstadt sei man mit zwei Immobilien in Dauernheim und Bobenhausen so verfahren und richte sich nach dem Ankauf derzeit als Unterkünfte her. Möglicherweise sei zu einem späteren Zeitpunkt auch ein erneuter Verkauf möglich gewesen, wenn Wohnraum benötigt werde. »Dieses Konzept kann dazu beitragen, größeren Leerstand in Ortschaften zu begrenzen und Möglichkeiten zur Unterbringung Geflüchteter oder in Sachen sozialer Wohnungsbau bieten«, so Cäcilia Reichert-Dietzel.

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Cäcilia Reichert-Dietzel. ARCHIV © pv

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