Sängerin, Kabarettistin und Philosophin: Anna Mateur im Interview

Sie ist eine gewaltige Erscheinung und spielt damit. In ihrem neuen Programm »Kaoshüter« zeigt Anna Mateur alles Unangepasste und Widersprüchliche in sich und der Welt.
Die Sängerin, Kabarettistin und Philosophin kommt zu dem Schluss: Chaos muss her, sonst platzen alle Nähte. Was sie damit meint, erzählt sie kurz vor ihrem Auftritt in Friedberg im Interview.
Sie scheinen ein echtes Multitalent zu sein. Jazzsängerin, Texterin, Komikerin, Schauspielerin und Radio-Kolumnistin. Was mögen Sie?
Meine Kernkompetenzen liegen im musischen Bereich. Dazu zählt auch Zeichnen. Ich bin Mutter. Tante, liebe Kinder, liebe Hunde, liebe alte Menschen, liebe Randgruppen, Abweichungen, liebe es Geschichten zu finden. Bin Linkshänderin. Ich habe ein Faible für Puppenstuben. Letzten Endes kann man das so zusammenfassen: Sie schreibt, spielt, zeichnet, singt.
Wie sehen Sie sich selber?
Ich bin extrovertiert, kann aber auch acht Stunden die Klappe halten, wenn ich zeichne. Ich esse gern. Scheiße, man sieht es! Aber ich bewege mich auch gern und kann mich auch bewegen.
Was können Sie nicht so gut?
Ich bin extrem unbegabt in allem, was Differentialgleichung und Integrale betrifft und leider auch quadratische Gleichungen, obwohl ich von Mathematikern und Informatikern umringt bin.
Sie stehen seit fast 20 Jahren auf der Bühne. Was hat sich in dieser Zeit geändert, persönlich, aber auch in ihren Programmen?
In der ersten Hälfte meiner »Karriere« war ich alleinerziehend. Seit zehn Jahren bin ich mit dem tollsten Mann der Welt zusammen, Funfact: Informatiker!
Und auf der Bühne?‹
Seit 2011 beschäftige ich mich mit Ordnung und Chaos. Immer mal wieder hatte ich die Sehnsucht aufzuhören. Hab dann immer experimentiert. Einmal mit Overhead-Projektor - auf der Bühne begleitet von meinen Jungs gezeichnet und dazu gesungen, ich experimentiere immer noch gern.
Ihr neues Programm heißt »Kaoshüter«, wie kam es zu diesem Titel?
Aktuelle Krisen: Krisen, Kriege, Konflikte sind Vertreter des Chaos, denn sie stören die vorherrschende Ordnung. Das Chaos wird immer nur mit Krisen und Kriegen in Verbindung gebracht, dabei arbeiten sehr, sehr viele Menschen mit Chaos. Die komplette Unterhaltungsindustrie besteht aus »Kaoshütern«!
Wie meinen Sie das?
Jeder, der überrascht, improvisiert, bewegt - vor allem Gefühle - ist ein Kaoshüter! Also sind auch Sozialarbeiter Kaoshüter, denn sie reagieren unmittelbar auf Jugendliche, die sich am System abarbeiten und dagegen frotzeln.
Passen Ordnung und Chaos zusammen?
Ordnung beinhaltet Chaos und Chaos beinhaltet Ordnung. Keines ist vom Anderen zu trennen. Keines ist besser oder schlechter. Es ist ein philosophisches System. Und unter diesen Gesichtpunkten: Haben wir den Sinn von Chaos nicht verstanden. Chaos ist genauso lebensnotwendig wie Ordnung.
Sie scheinen Wortspielereien und Wortveränderungen zu lieben, Kaos statt Chaos oder ihre Begleitband »The Beuys« statt »The Boys« sind nur zwei Beispiele. Woher kommt diese Affinität?
Keine Ahnung. Ich bin sehr visuell. Weniger bei mir, mehr bei dem, mit dem ich arbeite. Ich scibble meine ganzen Programme und wenn ich nachdenke, dann geschieht das meist auf dem Blatt. Vielleicht daher. Außerdem macht es Spaß. Und ich habe festgestellt, aber das hat keine tiefere Bedeutung: Ich bin ein K-Mensch. Ich ziehe das K dem C vor.
Auch ihr Künstlername Anna Mateur scheint ein Wortspiel zu sein, das sicher einen Hintergrund hat, oder?
Eine der Standardfragen: Hier meine routinierte Antwort: Meinen allerersten Auftritt hatte ich, als ich auf dem Schaubudensommer in Dresden eine Mitternachtsshow gestalten sollte. Da überall vor der Bühne Gerüststangen waren, habe ich eine davon mit silbernem Gaffa abgeklebt, mir eine Schüssel mit Mehl (gespieltes Magnesium) hingestellt und dann habe ich so getan als wäre ich eine »Go-Go-Tänzerin«. Nannte mich Anna Mateur und damit war der Name Programm. Die Leute haben es geliebt, und im Jahr darauf bekam ich ein ganzes Zelt. Amateurhaft, animiert - das bezog sich auf den Stangentanz.
Sie sind mit ihren Programmen sehr erfolgreich, erhielten nahezu alle wichtigen deutsche Auszeichnungen. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
Man freut sich. Ist motiviert weiterzumachen, aber mal ehrlich: Wenn man es nur wegen der Preise täte, wäre man ein bisschen bescheuert. Es gibt so Jahre, da startet die Preisschwemme, da registrieren plötzlich alle, dass man existiert und die Laudatoren überschlagen sich. Dann wird es wieder ruhiger. Für Preise macht man es nicht, aber es ist ein sehr schönes Nebenbei. Für junge, angehende Kleinkünstler allerdings ist das eine Chance wahrgenommen zu werden. Am Anfang finde ich sowas wichtig. Am Schönsten sind die Publikumspreise! Das ist die direkteste Liebeserklärung.
Sie werden begleitet von den Gitarristen Kim Efert und Samuel Halscheidt, mit denen Sie schon viele Jahre zusammenarbeiten. Bringen ihre »Beuys« auch Ideen ein?
Ja bringen sie, aber eher musikalisch. Es gibt aber auch Ideen, die wir uns gemeinsam auf der Fahrt um die Ohren hauen. Zum Beispiel Blödeleien uns zunächst als A-cappella Chor anzukündigen und dann ein Chorlied zu improvisieren. Haben wir auch schon mal gemacht.
Die Süddeutsche Zeitung beschreibt ihr Programm sowohl als »befreienden, sinnstiftenden Unfug« und als »Große gewagte Kunst«. Können Sie dem zustimmen?
Ich stimme der SZ zu. Damit ist klar, was das Publikum erwarten darf.
Sie werden als »Natur- oder Urgewalt« bezeichnet, nicht zuletzt wegen ihrer Erscheinung, mit der sie ja nicht hinterm Berg halten, sondern damit bewusst kokettieren, wie kam es dazu?
Ich glaube nicht, dass sich Natur- oder Urgewalt nur auf meine Figur bezieht. Ich spiele mit Klischees. Ich würde mit Jedweder Figur, die mich umfleischte kokettieren.
Ihre Stimme soll - ich zitiere - irgendwo zwischen Nina Hagen und Joy Fleming liegen, sind die beiden Sängerinnen auch so was wie ihre Vorbilder, haben sie überhaupt Vorbilder?
Danke für das Kompliment, aber an Nina Hagen komme ich nicht heran! Vorbilder sind Menschen, denen man nacheifert, aber die lagen bei mir nie im Sängerbereich. Ich mag Zappa. Ich mag Monty Python. Ich mag Carla Bley. Ich mag Nina Hagen und Ella Fitzgerald und Yma Sumac.
Wen noch?
Ich liebe vor allem Zeichnerinnen: Brecht Evens, Lukas Verstraete, Janosch, Hans Ticha. Ich liebe meine Kollegen Pigor und Eichhorn, Zärtlichkeiten mit Freunden, FIL, The Incredible Herrengedeck. Ich liebe »Lychen 92« von Constanze Klaue. Man wird doch von so vielen Dingen geprägt.
Sie treten in Friedberg im Central-Studio auf, der wohl ältesten deutschen Disco, sind Sie ein Disko-Fan?
Ich tanze gern. Ich hatte früher eine Funkband, bin damit in Diskotheken aufgetreten. War auch schon auf Dorfdiskos, mit Erdbeerrauch, und draußen parkten die Traktoren. Disko halt. Ich habs geliebt von oben auf die Tanzfläche zu schauen und der Balz in Reinstform zuzuschauen.
Kostprobe möglich
Anna Mateur wird auf Einladung des Theater Altes Hallenbad und im Rahmen der Kulturtaucher-Veranstaltungen des Alten Hallenbads mit dem Programm »Kaoshüter« und den »Beuys« am Donnerstag, 24. November, um 19.30 im Central in Friedberg auftreten. Sie möchte sprechend und singend Geistreiches zu Gehör bringen. Wer will, kann vorab schon mal eine Kostprobe in der ZDF-Mediathek nehmen. pm