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Soundtrack für einen entspannten Tag

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Kai Michel ist ein Workaholic, was Musik angeht. © Loni Schuchardt

Friedberg. Dass Kai Michel - schon immer eine Art Workaholic, was Musik angeht - in einem Jahr auch mal mehrere Alben rausbringt, ist nichts Neues. Das war 2017, 2018 und auch 2019 so. Im Frühjahr dieses Jahres dann erschien »The Angel In The Marble«, und es war wieder mal ganz anders als alles, was Michel bisher gemacht hatte. Und auch das will was heißen, schließlich erschließt sich das Oeuvre des Friedberger Musikers eigentlich erst so ganz, wenn man all seine Veröffentlichungen als sehr unterschiedliche Teile eines großen Ganzen begreift, das unglaublich facettenreich und bunt ist.

Nun legt der Friedberger Musiker auch 2023 ein zweites Album innerhalb eines Jahres nach: Es heißt »Photograph by Damian E. Cramer« und ist ab sofort auf allen gängigen Streaming-Plattformen verfügbar.

»The Angel In The Marble« war experimentell, schwer zugänglich, anstrengend und sperrig. Es war den großen Künstlern der Menschheitsgeschichte gewidmet, die Songtexte bestanden komplett aus schriftlichen Zeugnissen und Zitaten jener Künstler. Warum muss man das wissen, wenn es hier doch eigentlich um Kai Michels neuestes Werk, »Photograph By Damian E. Cramer« geht? Eben weil »Photograph« wieder so fundamental anders ist als sein Vorgängeralbum. Eine smoothe Reise durch Geschichten und Geschichtchen, die die Musik schreibt.

Denn Michel hat ein Faible für Anagramme, für Wortspiele und kleine Geschichten, die in seiner Musik hinter jeder Note lauern. Jener Damian E. Cramer ist tatsächlich ein Anagramm von »American Dream«. Das Foto, vermutlich 1970 aufgenommen, zeigt das Familienporträt einer Tante des Musikers, die Anfang der 60er Jahre in die USA ausgewandert ist. Die Gesichter sind mit dem Foto selbst unkenntlich gemacht. »Wenn man hineinsieht, dann ist es so, als schaue man in einen Spiegel im Spiegel - eine Komposition von Arvo Pärt heißt so, aber das ist vermutlich ein Zufall«, erklärt der Musiker.

Im Gegensatz zu »The Angel In The Marble« holt »Photograph« den Hörer sofort ab. Der Opener »Love’s not an evil thing« gehört ohne Frage mit zum Besten, was Kai Michel bisher aufgenommen hat. Er ist eine melancholische Annäherung an eine Zeile aus Bob Dylans »Sugar Baby« und offenbart Michels Vorliebe für ebenjene Anspielungen und Geschichten hinter der Musik - und hüllt den Hörer in einen warmen und zugleich angenehm ungeschliffenen 70er-Jahre-Sound.

Hommage an Dylan und Beatles

Dieselbe Melancholie trägt auch das Folgestück »Sweet Mary Lou«, ehe sich bei »Wigwam« wieder Michels Freude am hintergründigen Kombinieren mit den von ihm sehr verehrten Beatles vereint: Der Songtext verbindet zahlreiche Songtitel von Bob Dylan und den Beatles, die aus einem Wort bestehen, etwa Angelina, Piggies, California, Yesterday, Dirge, Isis, Moonlight, Julia oder Hurricane. »Der Refrain enthält alle Reimwörter, die mir auf Wigwam einfielen. Denn Wigwam ist der einzige mir bekannte Instrumentaltitel, den Bob Dylan jemals auf einem seiner Alben veröffentlicht hat«, erklärt er. Der Sound wird hier deutlich elektrischer und behält doch dieses charmante Oldschool-Gefühl. Hier wird wieder einmal deutlich, mit wie viel Liebe zum Detail Moritz Herrmann mit seinem Label Breadmaker das Album produziert hat.

Insgesamt wirkt »Photograph By Damian E. Cramer« jedoch deutlich weniger aus einem Guss wie die vorigen Alben Kai Michels. Dass sich hier zehn außerordentlich gut hörbare und zum Teil sehr unterschiedliche Stücke zu einem runden Ganzen zusammenfinden, ist wieder der umsichtigen Produktion zu verdanken. »Photograph By Damian E. Cramer« ist perfekt als Soundtrack für einen entspannten Tag, zum »nebenher« hören - offenbart aber beim genauen Hinhören die gewohnte Tiefe und Doppelbödigkeit, die man von Kai Michel kennt.

Moritz Herrmann

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Das neue Album ist das zweite innerhalb eines Jahres. © Red

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