Störche im Anflug - 205 Vogelpaare brüten in der Wetterau

Ein Storch auf dem Dach verheißt im Volksmund Glück und Kindersegen. Aktuell scheinen sich die Störche vor allem selbst zu beschenken. Der Wetterauer Vogelexperte Udo Seum weiß warum.
Wer schon einmal eine längere Reise mit dem Flugzeug zurückgelegt hat, weiß, wie anstrengend so eine Strecke und der anschließende Jetlag sein kann. Pro einer Stunde Flugzeit dauert es etwa 24 Stunden, um die innere Uhr wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Zugvögel wie die Weißstörche fliegen mehrere Monate zu ihrem Zielort in Nordafrika, Europa und Asien. Dabei orientieren sie sich am Sonnenstand, am Sternenhimmel und nicht zuletzt am Magnetfeld der Erde. Eine kräftezehrende Reise für die Jungtiere. Ein Grund, warum sie erst zur Geschlechtsreife mit drei bis vier Jahren von Afrika zum Brüten nach Deutschland zurückkehren und bis dahin im Süden verweilen.
Zumindest war Nordafrika bisher das Hauptziel der Weißstörche. Seit einigen Jahren zeichnet sich aber ein Trend zu immer nördlicheren Winterquartieren ab. Einige Störche bleiben sogar ganzjährig in Deutschland. Immer öfter überwintern sie in Spanien, sagt Udo Seum aus Heuchelheim, Vogelexperte des NABU und der HGON.
Reiches Buffet unter spanischer Sonne
Dieses Phänomen hängt näher mit der eigenen Urlaubsreise nach Spanien zusammen, als die meisten denken würden. Seum: »In Spanien bieten sehr viele Hotels ›all inclusive‹ an. Das Buffet wird abends abgeräumt und auf die Müllkippe gefahren. Da wimmelt es nur so vor Ratten und Mäusen.«
Ein gefundenes Fressen für Störche. Anstatt weiter nach Afrika zu ziehen, bleiben einige in Spanien zurück und überwintern dort. Im Frühjahr haben sie dann eine kürzere Flugreise nach Deutschland und sind bei der Ankunft insgesamt fitter, sagt Seum. Manchen Jungvögeln scheint es so gut zu gehen, dass sie sich bereits mit zwei statt drei Jahren zum Brüten aufmachen.
Frühere Geschlechtsreife der Jungstörche nicht unproblematisch
Allerdings birgt das neue Winterquartier auch seine Risiken. Störche können von den verarbeiteten Lebensmitteln krank werden oder sich am Unrat verletzen. Normalerweise ernähren sich Störche von Würmern, Schnecken, Mäusen und Fröschen. Laut Angaben des NABU frisst ein ausgewachsener Storch ungefähr 16 Mäuse oder 500 bis 700 Regenwürmer am Tag. In Afrika ernähren sich die Störche auch von den zahlreichen Heuschrecken. Diese sind aber häufig mit Insektiziden vergiftet.
Auch eine frühe Geschlechtsreife ist für die Störche nicht immer unproblematisch. Jungvögel, die bereits mit zwei Jahren brüteten, seien häufiger mit dem Elterndasein überfordert als ihre älteren Artgenossen, sagt Udo Seum.
Manche von ihnen hörten aus unerklärlichen Gründen irgendwann ganz auf zu brüten und ließen Eier und Küken zurück. »Die Leute, die die Horste betreuen, sind dann immer sehr bestürzt«, sagt Seum. Wenn er die Ringnummern der Elterntiere ablese, zeige sich oft ihr junges Alter. Andere Gründe für tote Küken sind aber auch: ein natürlicher Tod, eine Auslese der Schwächeren bei Nahrungsmangel und ein Kampf ums Nest.
Ring am Fuß liefert Daten zu Lebensdauer, Zugrouten, Orts- und Partnerwechsel
Ein Storchenleben ist nicht immer einfach. Bundesweite Renaturierungsmaßnahmen, besonders in Auenlandschaften, hätten aber zu einer Erholung des Bestands beigetragen, sagt Seum. Zu finden seien die Störche vor allem in den Flussniederungen der Wetterau, besonders an der Wetter, an der Horloff, an der Nidder, an der Nidda, und im Bingenheimer Ried.
Noch bevor die Störche flügge wurden, hat Seum jahrelang zusammen mit technischer Unterstützung durch die Oberhessischen Versorgungsbetriebe die Nistplätze abgefahren und die Jungtiere beringt. Mittlerweile hat er das Beringen eingestellt. Die Population sei zu groß geworden. Immerhin 70 Prozent der Wetterauer Störche seien aber erfasst. Auf dem kleinen Plastikring am Fuß ist ein Code vermerkt. Beim Ablesen ergeben sich Rückschlüsse auf Zugrouten, Lebensdauer, Orts- und Partnerwechsel.
Loyalität zum Nest statt zum Partner
Anders als häufig angenommen, bleiben sich Brutpaare nicht ein Leben lang treu. »Die Bindung an das Nest ist stärker als an den Partner«, sagt Vogelexperte Seum. Deshalb sei es in zweierlei Hinsicht nicht nachhaltig, ein Storchennest zu entfernen. »Wenn der Storch das einmal für gut befindet, dann baut er dort immer wieder hin.«
Udo Seum - Mehr als 50 Jahre im Vogelschutz aktiv
Udo Seum, in der Wetterau auch als »Storchenvater« bekannt, arbeitet seit mehr als 50 Jahren ehrenamtlich im Vogel- und Naturschutz. 2021 wurde er für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Auch mit 69 Jahren bekleidet Seum noch zahlreiche Ämter. So ist er als Arbeitskreisleiter für die Wetterau bei der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) tätig, Leiter der AG Wiesenvogelschutz sowie 2. Vorsitzender beim Naturschutzbund (NABU) Bingenheim, der den Storch sogar im Wappen trägt.