»Superbäcker« in der Schieflage

Zwar musste die »Bäckerei Ulrich« im Friedberger Stadtteil Dorheim Insolvenz anmelden. Doch Konditor und Bäckermeister Tobias Ulrich kämpft weiter für sein Lebenswerk und seine 32 Mitarbeiter.
WZ-Kolumnist Jürgen Komm hat in seinen legendären Musik-Videos einst den Hit »In der Weihnachtsbäckerei« von Rolf Zuckowski und seinen Freunden umgetextet. Seine Version, die man passend zur Weihnachtszeit in den Sozialen Netzwerken findet, heißt »In der Ulrich-Bäckerei«. Ein Loblied, das viele begeistert hat. Im Video wurde Tobias Ulrich eine Torte ins Gesicht geworfen. »Das war eine Schwarzwälder, und Jürgen Komm hat es bedauert, dass er sie nicht selbst essen durfte«, erinnert sich der Inhaber der »Bäckerei Ulrich«.
In Dorheim, in Assenheim, in Wohnbach und an seinem Stand in der St.-Lioba-Schule in Bad Nauheim nennen sie ihn alle »Lieblings-Bäckermeister«. Ulrich selbst registriert eine »riesige Kundenzufriedheit« an allen Standorten. Und im Jahr 2020 ist er sogar von einer Zeitschrift zum »Superbäcker« gewählt worden.
Kürzlich musste die »Bäckerei Ulrich« Insolvenz anmelden, und natürlich hat Tobias Ulrich insgeheim das Gefühl, einen langen Kampf verloren zu haben. Doch aufgeben wird er deshalb noch lange nicht. Für seine 32 Mitarbeiter will er weiterhin Tag und Nacht alles geben. »Bis zum 31. Oktober konnte ich jeden Lohn bezahlen. Doch im November war es einfach nicht mehr möglich. Deshalb habe ich im Sinne meiner Mitarbeiter diesen Schritt unternommen, damit sie an Weihnachten nicht ohne Geld dastehen«, erklärt Tobias Ulrich. Auch Insolvenz-Verwalter Markus Walter aus Frankfurt hat allen Mitarbeitern Mut gemacht, dass sie ihre Arbeitsstellen behalten werden.
Einen Hauch Schadenfreude habe er bei einer Konkurrentin in der Bäcker-Szene verspürt, was ihn mächtig ärgert, sagt Tobias Ulrich. »Doch die, die auf meinem Grab tanzen, tanzen umsonst«, betont er und geht voller Zuversicht ins neue Jahr. »Wir werden nicht von der Bildfläche verschwinden. Klar wird es Verkleinerungen geben. Doch wir werden uns darauf konzentrieren, was wichtig ist.«
Der letzte Wunsch im Leben
Irgendwann einmal hat der Bäckermeister aus Dorheim den Anruf von einer Palliativ-Station erhalten. Ein Kunde habe sich als letzten Wunsch in seinem Leben »ein Stück Schwarzwälder von Tobias« gewünscht. Auch für solche Momente habe sich das alles gelohnt, meint Ulrich. Seine Auszubildende Angelina Repp ist vor einiger Zeit zur Kammersiegerin in ganz Hessen gekürt worden. Aus der Familie Repp arbeiten vier Personen in seiner Firma.
In die Schieflage sei die Bäckerei durch unglückliche Umstände gekommen. Sieben Monate war die Bahnunterführung in Assenheim gesperrt und blockierte somit auch den Weg zur dortigen Bäckerei-Filiale. Und in der Corona-Zeit fiel der gesamte Weihnachts-Umsatz weg. Ein sechsstelliger Betrag sei ihm in dieser Phase verloren gegangen, beklagt Ulrich. Zudem sei das Mehl 88 Prozent teurer geworden, die Butter 200 Prozent, der Zucker 200 Prozent, und auch die Papier-Preise für die Brötchentüten sind in die Höhe geschnellt. Die Konsequenz: In diesem Jahr konnten keine Weihnachtsplätzchen mehr produziert werden.
Immer um 23.45 Uhr klingelt der Wecker
Tobias Ulrich hat einst sein Handwerk in der »Bäckerei Jung« in Bruchenbrücken erlernt. »Noch heute geben sie mir Rückhalt in allen Situationen«, schwärmt er von seinen ehemaligen Arbeitgebern. Jeden Abend um 23.45 Uhr klingelt sein Wecker. Beim zweiten Signal um 23.47 Uhr verlässt er das Bett. Von Mitternacht bis morgens um Vier kümmert er sich um die Produktion. Danach liefert er Ware aus. Mittagsschlaf gönnt er sich um 15 Uhr. Zwei junge Mitarbeiter haben signalisiert, dass sie eines Tages die Nachfolge übernehmen würden. Doch noch hat der 51-Jährige einen langen Atem. »Mittlerweile herrscht auf dem Rohstoffmarkt Ruhe. Die Lage ist wieder überschaubar.« Deshalb hat er gerade auch einen neuen Azubi eingestellt, der ihm auf dem Weg in eine bessere Zukunft zur Seite steht.
Tobias Ulrich führt als Konditor und Bäckermeister seit 2010 in der vierten Generation das Familienunternehmen. Im Jahr 1905 wurde die Brot- & Feinbäckerei Ulrich durch Bäckermeister Wilhelm Ulrich I. und seine Ehefrau Friederike gegründet. Die Firmengründer hatten vier Kinder, Sohn Karl erwarb 1935 die Meisterprüfung im Bäckerhandwerk und führte den Betrieb, als er 1944 aus dem Krieg zurückkehrte, gemeinsam mit seiner Ehefrau Emilie. 1950 kam auch sein Zwillingsbruder Gustav in den Betrieb, um bis ins hohe Alter als Geselle mitzuarbeiten. Karl und Emilies Sohn Wilhelm II. legte 1970 seine Meisterprüfung ab und baute 1970/71 mit seiner Ehefrau Heidrun das neue Wohn- und Geschäftshaus in Dorheim. Er legte damit den Grundstein für ein modernes Familienunternehmen, in das Sohn Tobias als gelernter Konditor bereits 1990 einstieg. Im elterlichen Betrieb erlernte er das Bäckerhandwerk und erwarb 1999 die Meisterprüfung. Seit dem Jahr 2010 liegen die Geschicke des Unternehmens in den Händen von Tobias Ulrich und seinem Ehemann Sascha Rössiger-Ulrich. mi