Massive Beschwerden über alkoholisierten Bettler

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber was, wenn jemand ein völlig würdeloses Verhalten an den Tag legt? Ein Bettler auf der Friedberger Kaiserstraße sorgt für Probleme.
Ein Leserbrief erreicht die Redaktion, es geht um »Unmögliche Zustände auf der Friedberger Kaiserstraße«, ausgelöst durch einen Bettler. Armin und Karoline Kaufmann aus Florstadt haben sich ihren Frust von der Seele geschrieben. Es ist ein langer Brief, der Ärger ist groß. Das Verhalten des Mannes sei schockierend, schreibt das Paar und betont, es gehe nicht darum, »Obdachlose in irgendeiner Form zu verunglimpfen. Sie stehen ohnehin am Rande de r Gesellschaft, werden selten mehr als geduldet, haben mit genug Repressalien zu kämpfen.« Allerdings sei das Verhalten des Mannes »in unseren Augen ganz und gar untragbar und für die umliegenden Geschäfte sogar geschäftsschädigend«.
Was Armin und Karoline Kaufmann beschreiben, ist für viele Friedberger nichts Unbekanntes: Meist hält sich der Mann neben dem Eingang des ehemaligen Hotels Trapp auf, vor dem Schaufenster der Markt-Apotheke. Gegenüber steht ein Parkscheinautomat, hier holen Passanten die Geldbörse raus, die Polizei würde sagen: Das ist ein typischer »Arbeitsplatz« von Bettlern. Allerdings ein mitunter recht schmutziger Arbeitsplatz.
Den Bürgersteig zur Toilette gemacht
Oft beansprucht der Mann den kompletten Bürgersteig für sich. Er ist alkoholisiert, verrichtet sowohl das große, als auch das kleine »Geschäft« »vor aller Leute Augen auf dem Bürgersteig und in den umliegenden Hauseingängen«, heißt es im Leserbrief. Dabei liege die Toilette im Café Rund »nur ein paar Meter entfernt«.
Der Mann entblöße sich in der Öffentlichkeit, er erbreche sich regelmäßig auf die Straße, die Inhaber der Geschäfte müssen das nachher saubermachen. Der Mann ist laut, pöbelt und spuckt Passanten an, belästigt das Personal der Apotheke. Öfter liegt er regungslos auf dem Bürgerstieg. »Der Rettungswagen ist regelmäßiger Gast.« Soll ihm geholfen werden, setzt er sich schon mal zur Wehr.
»Bei allem Verständnis für seine Situation, Erkrankung, Lebensumstände: Wie kann es sein, dass ein Mensch sich auf offener Straße so aufführen darf?« Das fragen sich auch die Geschäftsleute, viele haben die gleichen Erfahrungen mit dem Mann gemacht.
Die Einzelhändler sind ratlos
Je nach Alkoholpegel ist er aggressiv. Hin und wieder malträtiert der Mann ein Akkordeon und die Nerven der Einzelhändler. Die kommen mit den meisten Bettlern auf der Kaiserstraße aus, spendieren schon mal einen Kaffee. Bei diesem Bettler aber schütteln viele nur frustriert den Kopf. »Bei ihm ist es ganz schwierig, Mitleid zu entwickeln«, sagt eine Geschäftsfrau. Schenke ihm jemand ein Akkordeon, zertrümmere er es regelmäßig. Oft gehe ein bestialischer Gestank von ihm aus. Der Mann schrecke nicht nur Kunden, sondern auch potenzielle neue Mitarbeiterinnen ab.
Am Dienstagmittag ist der Mann einigermaßen ansprechbar, es reicht für einen kurzen Dialog. Er komme aus Rumänien, sagt er. Dort lebe seine Tochter, seine Frau sei gestorben. Er schlafe auf der Straße. Da er keine Sozialhilfe bezieht und meist alkoholisiert ist, kann er nicht dauerhaft im Karl-Wagner-Haus unterkommen. Dann sagt der Mann, er sei 50 Jahre alt. 50? Kann man das glauben? Und dass er seit 15 Jahren in Deutschland lebe.
Also seit 2008. 2007 war Rumänien der EU beigetreten, unmittelbar darauf sanken dort in vielen Regionen die Zahlen der Sozialhilfeempfänger. Betteln im Westen ist lukrativer - auch wenn es gleichzeitig ein Ausdruck für bitterste Armut und den Kampf ums Überleben ist.
Was man beobachten kann: Der Mann freut sich, wenn ein Passant stehenbleibt und ein paar Worte wechselt. Offenbar ist er allein auf sich gestellt, hat kaum soziale Kontakte.
Für die Leserbriefschreiber erfüllt sein Verhalten den Straftatbestand der »Erregung öffentlichen Ärgernisses«. Sie fragen sich, warum Polizei und Stadtverwaltung nicht einschreiten. Viele Menschen f ühlten sich von ihm belästigt. »Wie kann es sein, dass da nichts passiert? Denn das ist das eigentlich Traurige an der Sache: Die Stadtverwaltung will hier offenbar keine Verantwortung übernehmen«, schreiben Armin und Karoline Kaufmann. Ihr Fazit: »Man verschließt hier wissentlich die Augen und lässt die Geschäftsleute und Passanten mit der Situation allein.« Die Stadtverwaltung widerspricht und verweist auf Artikel 2 des Grundgesetzes: Das Recht auf Entfaltung der eigenen Persönlichkeit.
Der Stadt sind die Hände gebunden
Schauen Stadt und Polizei weg? Diesen Vorwurf erheben die Leserbriefschreiber im Fall des Bettlers, der auf der Kaiserstraße vor dem ehemaligen Hotel Trapp Passanten belästigt, anpöbelt oder bespuckt - und durch manch anderes würdeloses Verhalten für Ärger sorgt. Für das Ordnungsamt ist der Mann natürlich kein Unbekannter, und wie Ordnungsamtsleiter Jürgen Schlerf sagt, würden Verstöße gegen einschlägige Vorschriften (aggressives Betteln, öffentliches Urinieren) auch geahndet, »beispielsweise durch einen Platzverweis«. Schlerf erinnert aber auch daran, dass es sich hier um einen Fall von freiwilliger Obdachlosigkeit handele. »Der Mann ist mit seiner Obdachlosigkeit einverstanden und sich seines Handelns bewusst. Er nimmt sein grundgesetzlich garantiertes Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 GG) in Anspruch. Dieses Recht wird in seinem Fall auch nicht aufgrund von Gesetzen eingeschränkt.« Freiwillige Obdachlosigkeit stelle weder eine Ordnungswidrigkeit, noch einen Straftatbestand dar. Schlerf: »Eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist bei freiwilliger Obdachlosigkeit nicht gegeben.« Dem freien Willen des freiwillig Obdachlosen dürfe kein behördlicher Zwang entgegengesetzt werden, dazu fehle es jeglicher Rechtsgrundlage. Und zum freien Willen gehöre eben auch, staatliche Hilfe abzulehnen. »Wobei es interessant wäre beim Sozialhilfeträger nachzufragen, ob überhaupt Hilfsangebote für diese Menschen bestehen. Eine rechtsstaatlich verfasste Gesellschaft habe diesen Personenkreis und deren Lebensweise zu akzeptieren, auch wenn dies dem privaten Wertesystem eventuell widerspreche. Verstoße der Obdachlose allerdings gegen Vorschriften, werde dies geahndet. Schlerf: »Ein Ordnungspolizist hat erst in der letzten Woche eine klare Ansage gegenüber dem Obdachlosen gemacht, dass weiteres Fahlverhalten einen Platzverweis der Kaiserstraße zur Folge haben wird.«