Vom Zauber der Gitarre

Friedberg (gk). Im Frühjahr dieses Jahres trat er in der New Yorker Carnegie Hall auf, wenige Wochen später mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orkest. Der »Guitar Salon International« nennt ihn »einen der aufregendsten Konzertgitarristen seiner Generation«. Die Rede ist von Raphael Feuillatre, dem im nordafrikanischen Djibouti gebürtigen und in Frankreich lebenden klassischen Gitarristen.
Der 27-Jährige gewann bereits zahlreiche internationale Preise (u. a. der »Guitar Foundation of America«) und widmet sich neben der Musik des Barock den Werken der großen spanischen Gitarrenkomponisten wie Fernando Sor, Francisco Tárrega und anderen.
Dass ihn sein Weg nicht nur in die Metropolen dieser Erde, sondern am Samstagabend auch nach Friedberg zu den 11. Internationalen Gitarrentagen führte, ist Martin Wentzel, dem Organisator der renommierten Reihe, zu danken.
Ein wahrlich meisterhaftes Spiel
Der 80-minütige Auftritt Feuillatres umfasste Werke und Bearbeitungen aus drei Jahrhunderten von Johann Sebastian Bach bis zum 2016 verstorbenen Roland Dyens - einem seiner Lehrer am Pariser Konservatorium.
Bereits der Vortrag des von Feuillatre selbst transponierten Präludiums Nr. 1 aus Johann Sebastian Bachs »Wohltemperierten Clavier« weckte große Erwartungen des Publikums im voll besetzten Großen Saal der Musikschule. Sie sollten nicht enttäuscht werden. Der Interpret glänzte von Anbeginn mit seinem äußerst konzentrierten, präzisen, technisch wie interpretatorisch meisterhaften Spiel, bei dem er nichts dem Zufall überließ, sich nicht die kleinste Nachlässigkeit erlaubte. Und all dies wirkte nie bemüht oder gar angestrengt.
Die »Barricades mystérieuses« aus Francois Couperins »Pièces de clavecin« wirken majestätisch, ohne schwerfällig zu sein. Ein eigenartiger Zauber geht von ihnen aus.
Jacques Duphly, der 1715 in Rouen geborene Komponist, Cembalist und Organist, folgte mit seiner »Médée« (Medea). Sein Spätwerk markiert den Übergang vom Barock zur französischen Frühklassik. Deren galanten Stil arbeitete der Interpret traumwandlerisch sicher heraus. »Fülle des Wohlklangs« (Th. Mann) verbreitete sich im Saal.
Auf eine Sonate von Domenico Scarlatti folgten als Highlight des ersten Konzertteils Variationen des katalanischen Tonsetzers und Gitarrenvirtuosen Miguel Llobet über ein Thema von Fernando Sor. Zugrunde liegt hier das Harmoniemodell der »Folia«, die ihren Ursprung in einer alten portugiesischen Tanzform hat. Zahlreiche Komponisten haben die »Folia« (dt. Verrücktheit, Wahnsinn) zum Anlass für virtuose Variationen genommen - so auch Llobet.
Ein zerklüftetes »Klanggebirge« türmt sich auf, das vom Interpreten erklommen sein will. Feuillatre meistert die schwindelerregende »Gratwanderung« scheinbar mühelos, leistet sich keinen Fehltritt. Großartig!
Der zweite Konzertteil war der spanisch-lateinamerikanischen Gitarrenmusik von Julian Arcas bis Astor Piazzolla gewidmet. Arcas, von dem Phantasien über Themen aus Verdis »La Traviata« mit z. T. rasend schnellen Läufen erklangen, gilt als Begründer der klassischen spanischen Gitarrenschule.
Zu seinen bedeutendsten Schülern zählt Francisco Tárrega. Er revolutionierte die Technik des Gitarrenspiels unter anderem mit dem Wechsel vom Nagelspiel zum Anschlag mit der Fingerkuppe. Damit ebnete er den Weg in neue Klangwelten - wie in seinen von Feuillatre kongenial vorgetragenen Präludien 5 und 6 zu vernehmen war.
Das folgende dreisätzige lautmalerische Werk »La Catedral« des paraguayischen Tonsetzers Agustin Barrios ist von einem Besuch der Kathedrale in Montevideo inspiriert. Feuillatre gelingt es, den religiösen Charakter der beiden ersten Sätze Klang werden zu lassen.
Nicht enden wollende Standing Ovations bewegten den sichtlich beeindruckten Interpreten zu zwei Zugaben - eine davon Fernando Tárregas Bravourstück »Recuerdos de la Alhambra« mit seiner zauberhaften tremolierenden Melodie.