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Wenn Schule mehr als Lernen ist

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Geduld, Impulskontrolle und Kooperation sind nötig, um einen Fröbelturm zu bauen (v. l.): Oliver Zinner, Madeline Hahn, Inga Lynn, Anette Kehrbaum, Heidi Nitschke und Yvonne Schröck. © Rebecca Fulle

Vermitteln, beraten, schlichten: Schulsozialarbeiter können Wegweiser von der Grundschule bis zur Berufsschule sein. Aber was genau machen sie eigentlich?

Mobbing. Sucht. Depression. Sexualisierte Gewalt. Große Begriffe, mit denen Schulsozialarbeiter bei ihrer Arbeit in Berührung kommen. Im Gespräch erzählen Sozialarbeiter aus Schulen in Bad Vilbel, Büdingen und Friedberg von ihren Erfahrungen - und was die Sozialarbeit so besonders macht.

»Wir begegnen Menschen auf Augenhöhe. Eitelkeit und Arroganz haben in unserem Bereich nichts zu suchen«, sagt Anette Kehrbaum. Sie ist pädagogische Leiterin der »Sozialarbeit in Schulen« und mit für ihren Auf- und Ausbau verantwortlich. Für sie ist klar: Schulsozialarbeit ist Präventionsarbeit. In Teams gemeinsam mit Erziehern, Lehrkräften der Sonderpädagogik, Therapeuten und anderen begleiten sie Kinder von der Kita bis in die Selbstständigkeit.

Ansprechpartnerin für Schüler, Lehrer und Eltern

Zu Besuch in der Saalburgschule in Bad Vilbel erzählt Sozialarbeiterin Madeline Hahn von ihren Erfahrungen in der Grundschule. Ihre Arbeit besteht zum Großteil aus Projekten mit Schülern und Einzelfallhilfe. Bei den Projekten gehe es um Freundschaften, die Vermeidung von Gewalt, Streitschlichtung, soziales Lernen und mehr.

Schüler, Lehrer und Eltern könnten sie immer ansprechen. »Es ist mir wichtig, präsent zu sein.« Manchmal falle den Lehrern auf, dass ein Schüler sich zurückziehe und mache Hahn darauf aufmerksam. »Einen Versuch ist es immer wert.« Häufig führt sie Gespräche mit Eltern. »Nicht jeder möchte unbedingt mit der Lehrerin über das Private sprechen.« Schüler können außerdem zu Hahn in die Sprechstunde kommen. Schulleiterin Kristina Liebenhoff ist sehr dankbar für Hahns Arbeit. »Ich kann mir die Schule nicht mehr ohne sie vorstellen.«

Yvonne Schröck und Inga Lynn sind Sozialarbeiterinnen an weiterführenden Schulen. Schröck arbeitet am Wolfgang-Ernst-Gymnasium in Büdingen, Lynn an einer integrativen Gesamtschule, der Adolf-Reichwein-Schule in Friedberg. »Bei mir ist es viel Beratungsarbeit«, sagt Lynn. Die Schüler kommen häufig von selbst. Themen wie Streit und der Umgang mit Sozialen Medien beschäftigen sie in ihrer Arbeit. Aber auch Sucht und Kindeswohlgefährdung gehörten dazu.

Wunsch nach Verankerung von Sozialarbeit im Schulprogramm

»Man braucht als Sozialarbeiter Zeit, um anzukommen«, sagt Lynn, die seit vier Jahren in Friedberg tätig ist. »Aber wenn das Vertrauensverhältnis da ist, ist es toll.«

Schröck, die am Büdinger Gymnasium arbeitet, erzählt von Eltern-Lehrer-Projekten, damit beide an einem Strang ziehen. Sie leitet auch Projekte wie »Gemeinsam Klasse sein« für die fünften Klassen.

»Schüler, die einen guten Klassenzusammenhalt haben und Konflikte diskutieren, sind von der Leistung her wesentlich besser«, sagt Kehrbaum. »Am besten wäre es, wenn so etwas fest im Schulprogramm verankert ist.«

Die Erfahrungen von Oliver Zinner sind im Vergleich zu seinen Kollegen nochmal anders. An den Beruflichen Schulen Büdingen und Nidda betreut er Menschen zwischen 15 und 30 Jahren, die eine Ausbildung machen. »Es geht auch um Schwangerschaften, Abtreibungen, Suizid, Selbstverletzung. Um Sucht, Depression, sexualisierte Gewalt und Identitätsfindung.«

Für ihn sei Sensibilisierung besonders wichtig. »Ist das hier gerade die Ursache oder das Symptom?« Schule schwänzen sei meist nicht die Ursache, sondern ein Symptom. Ursachen könnten die Trennung der Eltern, Mobbing, Flucht, der Ukraine-Konflikt und anderes sein.

Sozialarbeiter als Werkzeuge

Zinner erzählt von einem jungen Mann. Er hält Schule für Zeitverschwendung. Es stellt sich heraus, dass das auch die Ursache des Problems ist. Zinner stellt den Kontakt zum Jobcenter her, informiert diese, dass der Mann seinen Abschluss nicht machen wird. »So können direkt Lösungen gefunden werden, und es geht nicht so viel Zeit ins Land.«

Zinner versteht sich und andere Sozialarbeiter als Wegweiser. »Irgendwie geht es immer weiter.« Sie seien aber auch auf die Unterstützung von Lehrern angewiesen. »Wir sind Werkzeuge. Und Werkzeuge können nur funktionieren, wenn man sie benutzt.«

Wichtig sei auch, die eigenen Grenzen zu kennen. Zinner erzählt von einer jungen Frau, die sagt, sie wisse nicht, ob sie den morgigen Tag noch erlebe. »Dann ist klar: Meine Arbeit ist hier vorbei. Wir sind dann gemeinsam in die Psychiatrie gegangen.«

Seine Erfahrung ist, dass die Schüler oft erleichtert sind, wenn sie ihre Last teilen können. In schwierigen Lebenssituationen könne die Schulsozialarbeit ein gezielter »Boost« sein, sagt Zinner. »Wir animieren die Leute zur Selbstständigkeit.«

INFO: Stellen im Kreis

Die »Sozialarbeit in Schulen« ist seit zwei Jahren dem Träger »Regionale Dienstleistungen Wetterau« (RDW) unterlegen. Die Schulsozialarbeit ist in jeder Wetterauer Kommune bis auf Karben vertreten. Ab Oktober sind von den 77 Schulen im Kreis, an denen sie tätig sind, 70 besetzt, sagt Anette Kehrbaum, pädagogische Leiterin der »Sozialarbeit in Schulen«. Die restlichen offenen Stellen seien sehr schwer zu besetzen. »Viele möchten in Vollzeit arbeiten.« Allerdings gebe es nur acht Schulen im Kreis, die eine Vollzeitstelle anböten. »Die Hälfte der Schulen hat unter 15 Stunden in der Woche für Schulsozialarbeit«, sagt Kehrbaum. Zwar könnte man die Stelle durch mehrere Schulen auffüllen, »wir haben aber schnell gelernt, dass Schulen ihre Sozialarbeiter gern für sich alleine haben.«

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