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Wetterau: »Wann, wenn nicht jetzt?« - Das sagen VGO und ZOV zum Deutschlandticket

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Von: Kerstin Schneider

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»Ein Monatsticket für weniger als eine Tankfüllung: Wenn das kein Wachrüttler für die Pendler mit gutem ÖPNV-Angebot wird, verstehe ich die Menschheit nicht mehr«, sagt Stefan Klöppel über das 49-Euro-Ticket. SYMBOLBILD: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Bahn frei für das Deutschlandticket. Am 1. Mai soll es losgehen. Für Berufspendler ist es sehr attraktiv, meinen Volker Hofmann, VGO-Geschäftsführer, und Stefan Klöppel, Leiter ZOV-Verkehr.

Rückblick: War das 9-Euro-Ticket auf dem Land ein Renner?

Stefan Klöppel: Es war für die meisten Nutzer eher für Gelegenheits- und Freizeitverkehre interessant und hat nicht viele zum dauerhaften Umstieg bewegt. Einen »Peak« hatten wir beim Vulkanexpress, aber sonst mussten wir wegen des 9-Euro-Tickets keinen einzigen Bus zusätzlich bestellen. Teilweise gab es Beschwerden, weil die Züge recht voll waren und die Fahrräder nicht mehr reinpassten.

Volker Hofmann: Es war eine Art »Spaßticket« und interessant für Leute, die einmal reinschnuppern wollten in den ÖPNV. Nicht viele sind dadurch umgestiegen, auch weil das Ticket befristet war. Es gab sogar eine gegenläufige Beobachtung: Einige Pendler, die sonst Bahn fahren, haben wieder das Auto genommen, weil die Straße etwas leerer war.

Das Deutschlandticket kommt. Wie schätzen sie die Chancen ein?

Klöppel: Attraktiv ist es für die langen Pendlerstrecken etwa von Marburg oder Gießen in Richtung Frankfurt. Da müsste doch jeder das günstige Angebot zum Anlass nehmen, sein Mobilitätsverhalten auf den Prüfstand zu stellen. Ein Monatsticket für weniger als eine Tankfüllung: Wann, wenn nicht jetzt?

Ist der Preis ein großes Argument?

Hofmann: Pendler zahlen jetzt für eine Jahreskarte etwa von Gießen nach Frankfurt 3000 Euro im Jahr, holen sie sich das 49-Euro-Ticket, sind es noch 588 Euro im Jahr. Das ist ein unschlagbares Argument.

Klöppel: Es wird nicht die Masse der Vogelsberger zum Umsteigen bewegen, aber der dritte oder vierte Wagen pro Haushalt wird vielleicht abgeschafft. Weniger attraktiv dürfte es möglicherweise für die Wetterauer dann werden, wenn aus Kapazitätsgründen ab Butzbach alle schon im Zug stehen müssen...

Bringt der attraktive Preis für die Nutzer für die Verkehrsgesellschaften Probleme mit sich?

Hofmann: Möglicherweise ja, denn mehr Züge auf den Gleisen wird es mit dem neuen Ticket nicht geben. Das gibt die Finanzierung nicht her, bei der sich Bund und Länder darauf verständigt haben, dass den Verkehrsverbünden die Defizite, die durch das Ticket entstehen, ausgeglichen werden. Wie hoch das Defizit ausfallen wird, wissen wir noch nicht. 2019 war das letzte normale Jahr vor der Pandemie, daran wird sich orientiert. Wir sind gutgläubig und gehen davon aus, dass unser Defizit ausgeglichen wird. Aber dadurch fährt eben noch nicht ein Bus oder eine Bahn mehr als im Moment.

So richtig begeistert klingt das nicht.

Hofmann: Es macht uns Kopfzerbrechen, denn wir werden anders als früher immer abhängiger von Zuschüssen, wir hängen am Tropf des Staates. Zuvor haben wir im Rhein-Main-Verkehrsverbund etwa 55 Prozent Kostendeckung durch die Nutzer erzielt, was im Bereich ÖPNV eine gute Zahl ist. Jetzt wird davon ausgegangen, dass diese Zahl auf unter 30 Prozent fallen wird. Damit geht unternehmerische Freiheit verloren. Denn gleichzeitig sind unsere Nutzerzahlen deutlich gestiegen. 1995 hatte der RMV 525 Millionen Fahrgäste im Jahr, 2019 waren es 800 Millionen.

Klöppel: Wir konnten in früheren Jahren aus den Erlössteigerungen verschiedene Dinge finanzieren, die das Angebot und den Komfort für die Fahrgäste erhöhen. Das wird künftig nicht mehr der Fall sein. Ob es dann ohne einen höheren Einsatz von Steuermitteln mit der gewünschten Verkehrswende so klappt, wenn keine Angebotsausweitung mehr möglich ist?

Was ist mit den Bussen? Es sind zu wenig, sie fahren zu selten, hört man oft?

Klöppel: Derzeit wird die Anzahl der Busse in unserem Bediengebiet zu 100 Prozent über die Schülerbeförderung definiert. Es sind »Eh-da-Busse«, die nach der Schule auch andere Fahrgäste transportieren. Dafür läuft der ALT-Verkehr in Schwachlastzeiten zum Beispiel im Vogelsberg sehr gut. Vielfach gehen hier Wahrnehmung und Realität auseinander, auch kleine Dörfer bedienen wir zehnmal unter der Woche und sechs- bis achtmal an Wochenenden. Hier betreiben wir aber reine Daseinsvorsorge, die nur bedingt konkurrenzfähig ist. Attraktiv sind die Hauptlinien: Unsere vielen Bahnlinien sind das Rückgrat, ergänzt um gut getaktete und schnelle Buslinien.

Gibt es neue Konzepte für das Land?

Hofmann: Hier könnten »On-Demand-Angebote« eine Chance sein. Diese Shuttles sollen Fahrgäste auf Abruf von Tür zu Tür fahren. Damit könnte man in einem räumlich abgegrenzten Gebiet mit einem wirtschaftlich darstellbaren Angebot relativ flexibel und zügig von A nach B kommen.

Ihr Fazit?

Hofmann: Wir sind nicht gegen das 49-Euro-Ticket, zumal für die Nutzer der jetzige Tarifdschungel gelichtet wird. Allerdings muss sich zeigen, ob die Finanzierung gesichert ist. Dann muss das Ticket beweisen, dass es einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrswende leisten kann, sonst bleibt es ein teurer Spaß. Im Hintergrund gibt es noch viel Arbeit, so muss geklärt werden, wie das Geld zur VGO kommt, wenn Nutzer das Ticket etwa in Berlin oder Hamburg kaufen. Wir hoffen, dass es bei der Finanzierung fair zugeht.

Info: VGO

Die Verkehrsgesellschaft Oberhessen mbH (VGO) mit Sitz in Friedberg ist im September 2005 aus der Fusion der lokalen Nahverkehrsgesellschaften des Wetteraukreises, des Vogelsbergkreises und des Landkreises Gießen hervorgegangen. Aufgabe ist es, im Rahmen des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu organisieren, zu finanzieren und weiterzuentwickeln. Das Bedienungsgebiet erstreckt sich auf über 60 Städte und Gemeinden mit insgesamt ca. 580 000 Einwohnern.

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Volker Hofmann (l.) und Stefan Klöppel sehen vor allem für Pendler Vorteile durch das Deutschlandticket. © Kerstin Schneider

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