Frühling im Winter

Ein Leben ohne Blumen kann ich mir nicht vorstellen. Kein Wunder, schließlich hatten wir Zuhause bei meinem Elternhaus einen großen Garten. Im Winter waren Blumen früher seltener, sie waren Luxus. Daher übte ein winterliches Gebinde, das im Advent in der Wohnung meiner Urgroßmutter stand, einen besonderen Reiz auf mich aus.
Jedes Jahr zum Fest der heiligen Barbara am 4. Dezember brachte mein Onkel von unserer Obstwiese ein paar frisch geschnittene Kirschzweige: die Barbarazweige.
Die Legende berichtet von der heiligen Barbara, die zur Zeit der römischen Christenverfolgung lebte, dass ihr eigener Vater sie vor Gericht anzeigte, weil sie ihm nicht gehorchte. Gegen seinen Willen blieb sie dem Glauben an Jesus treu.
Als sie mit Gewalt ins Gefängnis gezerrt wurde, verfing sich ihr Gewand in einem Kirschbaum am Wegesrand. Ein Zweig brach ab, den sie mit in den Kerker nahm. Dort stellte sie den dürren Zweig ins Wasser, und am Tag, an dem sie getötet werden sollte, stand er in voller Blüte. Für Barbara war das ein Fingerzeig Gottes, ein Zeichen des Trostes und der Hoffnung.
Der Strauß aus Kirschzweigen in Omas Wohnzimmer bot zunächst keinen besonders erfreulichen Anblick. Aber allmählich konnte man sehen, wie in der Wärme die Knospen anschwollen und schließlich zu Weihnachten die weißen Kirschblüten strahlten: Frühling im Winter! Gerade diese Barbarazweige sind ein Zeichen, was Advent eigentlich bedeutet. Sie sind ein Hoffnungszeichen, dass nach der Winterkälte auch wieder ein neuer Frühling anbrechen wird. So werde ich am Barbaratag Barbarazweige schneiden. Denn auch in diesem Jahr soll es wieder Frühling im Winter werden.
Pfarrer Tobias Roßbach ,
Pfarrei St. Gottfried Butzbach und Leiter des Pastoralraumes Wetterau-Nord