Für die Verkehrswende auf dem Land

Wie fährt ein Bürger zum Beispiel aus Kefenrod oder Hitzkirchen durch Oberhessen und ins Rhein-Main-Gebiet? Welche Optionen hat er in Zukunft? Verkehrsplaner geben in Nidda erste Hinweise.
Wie sind die Verkehrsströme in Oberhessen beziehungsweise im Rhein-Main-Gebiet? Die Video-Präsentation mit den kleinen Symbolen, die aus allen Himmelsrichtungen in das Ballungsgebiet zu sputen scheinen, resultiert aus einem Datenmix. Mit Interesse beobachten die Mitglieder der Steuerungsgruppe Mobiles Oberhessen die ersten Ergebnisse des Unternehmens Ioki. Verkehrsplaner und -ingenieure Laurenz Wehrle und Lorenz Bulin sind Vertreter der 100-prozentigen Bahn-Tochter, die Software für den On-Demand-Verkehr bietet und den Verkehr analysiert.
Alternativen zum Auto finden
Das Unternehmen übernimmt im Auftrag der Steuerungsgruppe Mobiles Oberhessen einen wichtigen Part für ein großes gemeinsames Ziel: Alternativen zum Auto an den richtigen Stellen zu finden und den öffentlichen Verkehr in Oberhessen zu ergänzen. Auch um die Innenstädte und Dörfer zu stärken sowie die Daseinsvorsorge zu verbessern. In Nieder-Seemen oder Burgbracht ist das Auto nicht ersetzbar. Daher ist die Aufgabenstellung kompliziert und komplex. »Die große Debatte der Verkehrswende als Teil der Energiewende auf Bundes- und Landesebene muss auch auf der regionalen Ebene stattfinden«, unterstreicht Bernd-Uwe Domes, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Wetterau (Wfg). Die Wfg leitet diese Steuerungsgruppe, die auf Initiative des Vereins Oberhessen entstand.
Die Kennzahlen und Analysen von Ioki sind auch für einen Antrag auf Bundesförderung wichtig. Bereits im vergangenen Jahr hatte sich die Region Oberhessen darum beworben, sich ganz gut positioniert und für den erneuten Anlauf Hausaufgaben erhalten: fundierte Kennzahlen, Informationen, wer für welches Mobilitätsangebot zuständig ist, eine Risiko-Analyse sowie die Aussicht, wie es nach einer erfolgreichen Förderphase über drei Jahre weitergeht. Es könnten immerhin etwa 14 Millionen Euro fließen. Die Landesgartenschau 2027 ist ein Motor, nicht das zeitliche Ziel, da die anvisierten Entwicklungen weit über dieses Datum hinausgehen.
Am 14. Juli müssen Projektskizzen mit Ergebnissen aus der Mobilitätsanalyse von Ioki für den Förderantrag beim Bund eingereicht werden. Ob das mit dem Förderantrag klappt, steht frühestens ab 2024 fest. Auch unabhängig des Erfolgs bleibt das Ziel eine nachhaltige, klimafreundliche Verkehrsentwicklung, die die Dörfer miteinbindet.
Wer im ländlichen Bereich auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist, der braucht Geduld. Die Wartezeit an Bushaltestellen gehört ebenso zum Alltag wie das Bild fast leerer Busse, die durch die Region fahren, wenig genutzte Autos, die Straßen und Gehwege zuparken oder Blechkolonnen, die sich in Stoßzeiten durch die Städte quälen und die Aufenthaltsqualität mindern. Das Auto ist ein verlässlicher Freund. 41 Prozent der Bürger im Rhein-Main-Gebiet nutzen alleine das Auto, 14 als Mitfahrer, 13 das Fahrrad, nur elf Bus und Bahn, 21 Prozent laufen.
Laurenz Wehrle und Lorenz Bulin visualisieren den Verkehr der Zukunft. Wo könnten Mobilitätsstationen entstehen, an denen Bike-Sharing, Lastenfahrräder, E-Scooter angeboten werden? Sie schlagen vor, diese in jeder Kommune in Oberhessen zu planen. Die sogenannten Feeder-Stops sind im Großen und Ganzen mit den Mobilitätsstationen kombiniert. Sie verbinden Bus und Bahn mit dem On-Demand-Verkehr, wie zum Beispiel Rufbusse.
In weiteren Schritten werden zwei On-Demand-Gebiete als Beispiele ausgearbeitet, um zu erfahren, wie viele Fahrzeuge gebraucht werden, was diese kosten, wie gut die Erreichbarkeit ist und welche Vorteile sie den Bürgern bringen. Denn die Verkehrswende muss auch in den Köpfen stattfinden. Veränderungen fallen leichter, wenn damit ein Benefit verbunden ist.
Dieser könnte weniger Stress und Kosten bedeuten sowie ein nachhaltiges Fortbewegen. Zeitsparender wird es durch den On-Demand-Verkehr vermutlich nicht. Doch wer einen Shuttle-Bus bestellt, will kalkulieren können. Das Grundangebot an öffentlichen Verkehrsmitteln und ein intensives Marketing sind wichtig.
Dass der Schülerverkehr mitgedacht werden sollte, dafür wirbt Ranstadts Bürgermeisterin Cäcilia Reichert-Dietzel. Ortenbergs Rathauschefin Ulrike Pfeiffer-Pantring geht davon aus, dass der kleinräumige Verkehr sich durch die Überalterung verstärken wird und die Planer wiederkehrende Ziele, wie zum Beispiel die Augenklinik in Gießen, miteinbeziehen sollten, damit nicht jeder einzeln fahre.
Mitte Juli werden die Verkehrsplaner von Ioki einen Zwischenstand geben. Dann könnte Oberhessen vielleicht schon eine erste Rückmeldung vom Bund erhalten haben. Die Vorbereitungen für den Wandel nehmen an Fahrt auf.