Gegen das Vergessen

Die Schauspielerin Patricia Litten hat sich erst in den vergangenen zwölf Jahren ausführlich mit der Geschichte ihrer Familie auseinandergesetzt. Mit ihren Lesungen will sie nicht nur an ihre Großmutter Irmgard Litten und ihren Onkel Hans Litten erinnern, sondern auch ein Zeichen gegen Hass, Intoleranz und das Vergessen setzen. So wie jetzt im Zuge der Reihe »Florstadt kulturell«.
Bereits 1940 schrieb Irmgard Litten im englischen Exil das Buch »Eine Mutter kämpft gegen Hitler«. Zwei Jahre zuvor hat sich ihr Sohn Hans im Konzentrationslager Dachau das Leben genommen. Der linke Anwalt hatte Adolf Hitler 1931 während eines Prozesses in Berlin stundenlang als Zeugen verhört und ihn dabei sehr schlecht aussehen lassen. Das lange vergriffene Buch von Irmgard Litten wurde im Juli 2019 vom Verlag Ars Vivendi neu aufgelegt.
Irmgard Littens Enkelin, die Schauspielerin Patricia Litten, hat sich erst in den vergangenen zwölf Jahren ausführlich mit der Geschichte ihrer Familie auseinandergesetzt. Mit ihren Lesungen aus »Eine Mutter kämpft gegen Hitler« will sie nicht nur an ihre Großmutter und ihren Onkel erinnern, sondern auch ein Zeichen gegen Hass, Intoleranz und das Vergessen setzen.
Litten ist zunächst überfordert
Jetzt war die 1954 in Zürich geborene Deutsch-Schweizerin - ihr Vater Rainer flüchtete vor den Nazis ins Schweizer Exil - mit ihrer musikalischen Lesung »Hans Litten - Anwalt gegen Hitler« im Zuge der Reihe »Florstadt kulturell« zu Gast im Saal Lux in Nieder-Florstadt. Begleitet wurde sie von der Cellistin Birgit Saemann. »Ohne Birgit würde ich gar nicht mehr durch den Abend kommen. Es fällt mir immer schwerer, diese Geschichte zu erzählen«, sagte Litten.
Zuvor hatten Rochsane Mentes von »BUNTerLEBEN«, der Partnerschaft für Demokratie in der Mittleren Wetterau, und die städtische Kulturbeauftragte Karola Backes-Richter die Besucher, darunter zahlreiche Jugendliche, begrüßt. »Bestimmte Dinge sollten wir nicht vergessen«, sagte Mentes, die auf die Aktualität des Themas angesichts der Kriege in Nahost und in der Ukraine hinwies. »Es gilt, die Menschenrechte zu achten und ein friedvolles Miteinander zu schaffen«, sagte sie.
Was folgte, war »ein sehr bewegender Abend«, so wie es Backes-Richter in ihrer Begrüßung angekündigt hatte. »Gerade heute zeigt diese Geschichte, wie fragil unsere Demokratie ist«, erklärte Patricia Litten, die das Buch ihrer 1953 verstorbenen Großmutter erst nach dem frühen Tod ihres Vaters im Bücherregal fand.
Da war sie 17, konnte mit dem Inhalt wenig anfangen und stellte das Buch wieder weg. »Ich war überfordert, ich konnte niemanden fragen«, sagte die Wahl-Nürnbergerin, die sich erst durch eine Anfrage der BBC, die eine Dokumentation über Hans Litten drehen wollte, ausführlicher mit der Familiengeschichte und dem Buch ihrer Großmutter beschäftigte.
Schnell wurde ihr klar, dass ihr Onkel ein bis heute kaum bekannter Widerstandskämpfer war, lange vor Hitlers Machtübernahme. Hans Litten sei von der Sucht erfüllt gewesen, Unrecht zu bekämpfen, sagte Litten. Und weiter: »Er war ein Linker, aber im Innersten war er ein Christ.«
Nach dem Prozess am Moabiter Landgericht wurde der junge Anwalt zu einem Intimfeind Hitlers. Schon in der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Litten in »Schutzhaft« genommen, so wie Hunderte von weiteren Gegnern der Nazis. »Schutzhaft klang irgendwie beruhigend«, schrieb Irmgard Litten. Mit der Verhaftung ihres Sohnes begann ihr Kampf, diesen frei zu bekommen. Doch auch die »freundschaftlichen Beziehungen« zu Reichswehrminister Werner von Blomberg nutzten nichts.
In allen Einzelheiten beschreibt Irmgard Litten nicht nur ihren Kampf um ihren Sohn, sondern auch die unglaublichen Gräueltaten, die die Nazis verübten.
Emotionaler Höhepunkt
»Ich erspare Ihnen hier die Einzelheiten«, sagte Patricia Litten. »Sein Gesicht war breiter als hoch«, beschreibt Irmgard Litten einmal den Zustand ihres Sohnes bei einem ihrer wenigen Besuche. Trotz der Misshandlungen und Folterungen wehrte sich Litten. Bei einer erzwungenen »Feier« der Inhaftierten anlässlich des Führergeburtstags las er den Text des Volksliedes »Die Gedanken sind frei«. »Sie können sich vorstellen, dass ihm das nicht bekommen ist«, sagte Patricia Litten, die den Liedtext vorlas, während Saemann sie mit Variationen der Melodie auf dem Cello begleitete. Ein emotionaler Höhepunkt der knapp zweistündigen Lesung, der eine halbstündige Fragerunde der Besucher folgte.
Es war ein interessanter und sehr bewegender Abend, der beim Signieren des Buches in zahlreichen persönlichen Gesprächen zwischen Litten und den Besuchern sein Ende fand.