Gemeinsam auf der Bühne

Das Theaterspielen lässt sie aufblühen: Menschen mit Assistenzbedarf. Musik, Kostüme, Masken und die Bühne schaffen eine besondere Atmosphäre zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Das wissen die Macher eines inklusiven Projektes aus dem Vogelsberg, das im März Vivaldis »Vier Jahreszeiten« inszeniert. Die große Bühne dafür haben sie im Jugendstiltheater Bad Nauheim gefunden.
Die Musik von Antonio Vivaldis »Vier Jahreszeiten« verlockt dazu, sie szenisch umzusetzen. In der Gemeinschaft Altenschlirf im Vogelsberg geschieht das als Inklusionsprojekt von Menschen mit und ohne Handicap, mit Orchester, Clowns, Kostümen und Masken. Am Samstag, 11., und Sonntag, 12. März, kommt das Musiktheater auf die Bühne des Jugendstil-Theaters Bad Nauheim.
Seit gut einem Jahr proben 20 Menschen mit Assistenzbedarf, Laiendarsteller aus der Umgebung und Profis gemeinsam an dem zauberhaften Musiktheater.
Die Gesamtleitung haben die Regisseurin und Theaterpädagogin Almut König-Kippenberg und ihr Mann Thomas Kippenberg, der als Leiter des Wiener Masken- und Musiktheaters Schlüchtern jahrzehntelange Erfahrung im Maskenbau hat. Dazu spielt live das Beethoven-Orchester Hessen mit der Solistin Lucia Ahn, Violine, unter der Leitung von Damian Ibn Salem.
Die Aufregung ist groß, denn die Aufführungstermine nahen. Vor Kurzem gab es eine Fotoprobe in den von der Düsseldorfer Oper am Rhein gestifteten, maßgeschneiderten Kostümen. Auch die Masken für die langsamen Sätze in den vier Musikstücken sind fertig, gebaut in Workshops von den Menschen mit Handicap selbst. »Mit dem, was dabei herauskommt, basteln wir die Szene«, erzählt Thomas Kippenberg. Das Bühnenbild bleibt minimalistisch und wird mit Lichttechnik illustriert.
Es gibt keinerlei Perfektionsdruck. »Lob ist wichtig, mit Kritik gehen wir sehr vorsichtig um. Es ist ja eine große Erfahrung und besondere Leistung für jeden«, erklären die beiden Pädagogen. »Der Gewinn beim Theaterspielen ist für Menschen mit Handicap riesig. Sie sind gelöster als im normalen Umgang miteinander, der Kontakt zu den anderen fällt leichter und umgekehrt auch. Es sind Begegnungen auf Augenhöhe. Niemand ist klein oder groß«, weiß Almut König-Kippenberg.
Wer mitspielen wollte, konnte sich einfach melden. Ein Casting der Schauspielerinnen und Schauspieler hätte dem Inklusionsgedanken entgegengestanden. Dennoch wurden die Rollen nach Begabung besetzt: Wer gut sprechen kann, hat eine größere Rolle, kann sich jemand nicht so gut bewegen, bekommt er einen ruhigeren Part. So entwickelten sich lebendige Szenen.
Die Musik zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter machte es einfach, sich ins Geschehen hineinzubegeben. Den roten Faden spinnt das Duo aus Clown Perino und Balletttänzerin Olga. »Die beiden sind ein Vorbild für die Menschen mit Handicap, denn an ihnen erkennen sie, dass auch Profis viel üben müssen«, sagt Thomas Kippenberg und erzählt vom Winterprinzen Peter und von Theo. Beide wollen nicht mit ihren richtigen Namen genannt werden. »Peter hat schon viel Theatererfahrung, er kann sich den Text gut merken und deutlich sprechen. Der pfiffige Theo ist von Haus aus ein Clown. Er ist das erste Mal dabei und darf jetzt auch genauso aufgedreht spielen.« Leicht sei es trotzdem nicht immer, die erwachsenen Menschen zu motivieren. Da komme es schon vor, dass manche sagen, sie spielen heute nicht. »Aber nach ein paar Minuten bricht doch die Lust durch. Sie wollen halt ein bisschen getätschelt werden«, wissen die Theaterleute. Fünf externe Laienschauspieler ergänzen das Ensemble. Dazukommen die Studierenden aus dem Beethoven-Orchester, das im Rhein-Main-Gebiet zu Hause ist und mit auf der Bühne sitzt.
So kam auch die Überlegung für den Aufführungsort Bad Nauheim zustande. »Wir wollten bewusst raus aus der ländlichen Region, um im städtischen Kulturrahmen diesen inklusiven Akzent zu setzen«, sagt Almut König-Kippenberg. In Fulda hatten sie damit vor Jahren schon großen Erfolg. »Unseren Menschen mit Handicap können wir damit eine echte Teilhabe am öffentlichen Kulturleben ermöglichen. Sicher werden sie mit ihrem Charme und Können das Publikum begeistern und berühren.«
Unterstützt wird das Theaterprojekt übrigens von der »Aktion Mensch« und vom Hotel Dolce by Windham, wo Inklusion ebenfalls eine Rolle spielt.

