Glatfelter will Standort abstoßen

Schock in Ober-Schmitten: Der amerikanische Konzern will den Niddaer Standort abstoßen. Der Zeitrahmen für einen eventuellen Verkauf ist mehr als knapp, es geht um knapp 200 Arbeitsplätze.
Das amerikanische Unternehmen Glatfelter will den Standort Ober-Schmitten abstoßen. Das erfuhr der Betriebsrat am 22. Februar während eines Gesprächs mit der Geschäftsleitung, bei dem unerwartet der Vize-Präsident aus den USA zugeschaltet wurde. Wegen der fortlaufenden Verluste habe sich der Konzern zu diesem Schritt entschieden. Man sei mit der Geduld am Ende, zitiert Betriebsratsvorsitzender Arif Tantürk den Vize-Chef. Der nannte zwei Optionen: Man findet noch schnell noch einen Käufer - das müsse innerhalb 45 Tagen geschehen-, ansonsten würde Option zwei zum Tragen kommen: die Schließung des Werkes.
Betriebsrat vermisst Informationen
Täglich habe der Betriebsrat bei der Werksleitung in Ober-Schmitten nachgehakt - ohne Erfolg, erzählt Arif Tantürk im Gespräch mit dieser Zeitung. Man sei mit einem potenziellen Käufer im Gespräch, habe es geheißen. »Zahlen und Fakten werden uns jedoch vorenthalten mit der Begründung, man wolle keinen Staub aufwirbeln und womöglich Käufer abschrecken«, berichtet der Betriebsratsvorsitzende. »Uns fehlen essenzielle Daten und Fakten, um die Lage genau beurteilen zu können.« Der Betriebsrat und auch Astrid Rasner, Gewerkschaftssekretärin der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Bezirk Mittelhessen, sind empört über die mangelnde Transparenz. Rasner: »Wir vermuten, dass es sehr ernst ist.« Fragen nach den Absichten des potenziellen Käufers, der Übernahme der Mitarbeiter, einem Sozialplan im Falle einer Schließung seien offengeblieben. Rasner bezeichnet es als Aussitzen. »Hier geht es um 200 Mitarbeiter und eine gestandene Papierfabrik, die Teil einer seit 1682 bestehenden Tradition ist«. Stattdessen gab es Ratschläge: Die Leute sollten Ruhe bewahren und weiterarbeiten. Rasner vermutet: Der Werksleiter habe einen Maulkorb erhalten.
Betriebsrat und Gewerkschaft gingen in die Offensive, luden für vergangenen Dienstagnachmittag zu einer Betriebsversammlung ein. Die Geschäftsleitung blieb fern. Der Betriebsrat gab jene Informationen an die Beschäftigten weiter, die sie hatten. »Sie wissen jetzt zumindest, dass etwas im Busch ist«, sagt Tantürk. Sein Betriebsratskollege Roman Wegner beschreibt die Stimmung: »Es war bedrückend, die Mitarbeiter waren geschockt, viele fürchten um ihre Existenz, sind enttäuscht über die nicht vorhandene Transparenz, fühlen sich ohnmächtig und hilflos. Teilweise war da auch Wut.« Es sei die ganze Bandbreite an negativen Emotionen zu spüren gewesen.
In den vergangenen Monaten hätte die Belegschaft das Gefühl gehabt, dass die Personen der Führungsebene schon gar nicht mehr am Standort interessiert seien und dementsprechend auch nicht mehr agiert hätten.
Einige Mitarbeiter der in den vergangenen Jahren geschlossenen Firmen Kopa-Film und Maria Soell, Eichelsdorf, hatten bei Glatfelter eine neue Stelle gefunden. Immer wieder wurden Arbeitskräfte gesucht. Die Werksleiter wechselten seit 2014 achtmal.
Belegschaft hat Angst um die Löhne
Die Auftragslage sei schlechter geworden, von November 2022 bis Ende April hätte die Firma Kurzarbeit angemeldet, berichten die Betriebsräte. Nun bangt die Belegschaft um ihre Löhne. Tantürk: »Die Verbundenheit mit dem Standort ist nach wie vor stark, die zum Unternehmen ist gesunken.«
Am 13. März ist ein Gespräch mit dem Betriebsrat, der Gewerkschaft und Geschäftsführer Peter Hettersheimer anberaumt. Für Arif Tantürk steht fest: Sie wollen das Unternehmen erhalten, mit der Geschäftsleitung ins Gespräch kommen. Und verspricht: »Wir werden uns ganz genau anschauen, was der Konzern vorhat und gegebenenfalls mit Maßnahmen entgegensteuern.«
Niddas Bürgermeister Thorsten Eberhard, der vergangene Woche von der Entwicklung, erfuhr, ist betroffen. »Für die Region wäre ein Wegfall der Firma Glatfelter ein immenser Verlust und ein fatales Signal. Das Unternehmen beschäftigt zahlreiche Arbeitnehmer und ist das letzte traditionelle Papierunternehmen.«
Die Unternehmenszentrale der Firma Glatfelter hat auf Anfrage dieser Zeitung eine Stellungnahme angekündigt. Diese lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor.