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Gurkensalat und Mama: Wladimir Kaminer brilliert trotz Pöbler im Publikum

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Gut aufgelegt bei »büdingen belesen«: Autor Wladimir Kaminer lässt sich auch durch einen pöbelnden Zuhörer nicht aus der Ruhe bringen. © Andrea Weber

Von Gurkensalaten, der Apokalypse, zwei Jesussen bei den Passionsspielen und vor allen Dingen von: Mama. Der Schriftsteller, Moderator, Kolumnist, Musiker und DJ Wladimir Kaminer erzählt, liest und brilliert in Büdingen.

Wladimir Kaminer hat am Montagabend den Auftakt zur diesjährigen Reihe »büdingen belesen« mit einer Lesung seines neuesten Werkes »Wie sage ich es meiner Mutter« gestaltet.

Das Publikum war begeistert, ein »Gast« allerdings nicht. Es gab einen unschönen Zwischenfall durch einen Mann, der Kaminer wüst beschimpfte, bevor er aus der Halle entfernt werden konnte (siehe Zusatzbericht).

Wladimir Wiktorowitsch Kaminer hat etwas schelmisches, jungenhaftes. Es gibt diese Männer, die optisch ewig Jungs bleiben, auch wenn sie längst der Pubertät entwachsen sind. Der Autor ist Deutscher sowjetischer Abstammung. Diese verschmitzte jungenhafte Ausstrahlung ist dem Schriftsteller ins Gesicht geschrieben, und es ist keine Masche.

Seine Fans lieben seine charmante Art. Wie er seine deutschen Texte mit hartem russischen Akzent liest, seine Mimik und seine unnachahmliche Art sich beim Applaus zu verbeugen. Tiefer »Diener« und immer eine Hand auf dem Herzen. Aus eben diesem Herzen heraus sind seine Texte: schnörkellos, leichtfüßig, höllisch intelligent und absurd komisch.

Es geht schon seit seinem Debutroman »Russendisko« im Jahr 2000 sehr oft um Alltagssituationen. Auch in seinem neuesten Werk »Wie sage ich es meiner Mutter« nimmt Kaminer seine 400 Gäste am Montagabend in der Büdinger Willi-Zinnkann-Halle mit zu sich nach Hause. In seine Wohnung in Berlin, Prenzlauer Berg, zu seiner Familie und zu Freunden. Und auf seinen Balkon, auf dem auch gerne Mutter Shanna sitzt.

Diskussionen mit den Enkeln

Von Sohn Wladimir immer liebevoll Mama genannt. Mit Betonung auf der ersten Silbe, also mit langem a: Maama. Die Russin, mittlerweile über 90 Jahre alt, muss sich tagtäglich den Diskussionen ihrer Enkel, Wladimirs Kindern Sebastian und Nicole, stellen.

Die beiden sind »zwanzig plus« und wollen Oma belehren, so der Autor. Wie wichtig es ist Lebensmittel zu kaufen und zu essen, auf denen ein Biosiegel ist. Die Oma bleibt hart, sie liebt Chicken Wings. Und sie schaut nur Nachrichten, die ihr gefallen.

Eine heile Nachrichtenwelt, bestehend aus Ballettpremieren, Außerirdischen und Rezepten für Gurkensalat. Sehr schön beschrieben im Kapitel »Die Gurkensalate der Apokalypse«.

Kaminer nimmt alle Themen in sein Programm. Auch außerhalb seiner Familie findet Leben statt. Und was für eines! Darüber lässt sich viel schreiben. Und erzählen: Das macht seine Lesung so rund und nahbar. Er weicht immer wieder vom niedergeschriebenen Text ab und erzählt, witzelt und fabuliert.

So spricht er natürlich auch den Krieg in der Ukraine an. Seine Haltung ist klar. Er ist Pazifist. Da steht ihm auch seine russische, oder besser sowjetische Herkunft, nicht im Weg. Aggressor Putin bekommt satirische Faustschläge.

Dann kommt Wladimir Kaminer zum Thema Religion und erzählt eine lustige Begebenheit bei den Passionsspielen in Oberammergau. Da hatte er quasi eine Erscheinung - na gut, eher eine Begegnung mit zwei Jesussen - ja, er sagt zwei Jesusse, weil es natürlich auch eine zweite Besetzung eines einmaligen Heiligen gibt.

Beschimpfungen und Drohungen

Das Publikum lacht, ein »Besucher« allerdings nicht. Plötzlicher Tumult, es wird unruhig in den hinteren Reihen der Willi-Zinnkann-Halle. Ein Mann schreit laut und pöbelt. Daraufhin wollen ihn drei Männer, die zur Veranstalterin Ovag gehören, aus dem Saal entfernen. Es gelingt dem Störenfried nur noch wenige Sekunden schlimmste Schimpfwörter und Drohungen an Kaminer zu richten, dann wird er rausbugsiert.

Wladimir Kaminer ist Profi, lässt sich nicht stören und sagt einige Minuten und Anekdoten später direkt: »Ich dachte, dass der Typ Probleme mit dem Russland-Ukraine-Kriegs-Thema hat. Aber nein, die zwei Jesusse haben ihn offensichtlich fertiggemacht«, sagt er zum applaudierenden Publikum mit einem Augenzwinkern. Und schließt nach einer fulminanten Zugabe mit den Worten: »Auf dass wir uns bald wiedersehen hier in Büdingen, gesund und in Zeiten des Friedens.« Tiefe Verbeugung, die Hand auf dem Herzen.

Pöbelnder Gast unterbricht-Lesung

Während der Lesung des deutschen Autors mit sowjet-russischer Abstammung, Wladimir Kaminer, kam es am Montagabend zu einem unerfreulichen Zwischenfall. Etwa 400 Gäste in der Willi-Zinkann-Halle in Büdingen wurden Zeugen dessen.

Kaminer hatte, unter anderem Themen wie den Ukraine-Krieg oder die Religion bei den Oberammergauer Passionsspielen satirisch beleuchtet - das war einem, in Büdingen wohl stadtbekannten, alkoholisierten Mann, zu viel. Er beschimpfte Wladimir Kaminer unflätig und drohte ihm.

Der Pressesprecher der Veranstalterin Ovag, Andreas Matlé, hatte daraufhin den Störenfried eigenhändig mit Unterstützung zweier weiterer Männer aus dem Saal geführt.

Matlé dazu: »Der Mann war keine echte Bedrohung. Auch seine Bierflasche, die er mit sich trug, hat er nicht als Waffe eingesetzt. Wir als Veranstalter bedauern diesen Vorfall, sehen aber keinen Handlungsbedarf für die nächsten, anstehenden Events. So etwas hat es in den 19 Jahren von »büdingen belesen« noch nicht gegeben. Und ich gehe davon aus, dass das ein unerfreulicher Einzelfall gewesen ist.«

Strafverfolgung wegen Bedrohung

Corina Weisbrod, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Mittelhessen, sagte: »Als meine Kollegen zu dem Vorfall gerufen wurden, war der Mann schon weg. Auch die direkt eingeleitete Fahndung verlief ergebnislos. Wir ermitteln nun aufgrund von Zeugenaussagen gegen einen offenbar auch polizeilich bekannten Mann aus Büdingen. Aber erst nach Antreffen des Mannes können wir sagen, ob es sich tatsächlich um den Täter von Montagabend handelt.«

Weisbrod weiter: »Der Veranstalter hat keine Anzeige erstattet, aber der Rechtsweg sieht vor, dass die Polizei dieses tut. Das bedeutet eine Strafverfolgung wegen Bedrohung.«

Der Betroffene selbst, Wladimir Kaminer, hat von einer Anzeige gegen den Mann abgesehen.

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