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Hessischer Verwaltungsgerichtshof in Kassel: Kammer-Abwahl rechtswidrig

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2017 musste Freddy Kammer seinen Schreibtisch im Rathaus räumen. © Björn Leo

Die Abwahl des Hirzenhainer Bürgermeisters Freddy Kammer vor sechs Jahren war rechtswidrig. Das entscheidet der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel am Mittwoch. Dennoch bleiben Fragen offen.

Sechs Jahre nach dem Bürgerentscheid im Mai 2017, in dessen Folge Bürgermeister Freddy Kammer (parteilos) seinen Arbeitsplatz im Hirzenhainer Rathaus räumen musste, hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Rechtswidrigkeit der Abwahl bestätigt. Insbesondere sei »im Rahmen der Formulierung des Bürgerentscheids gegen das Gebot der Sachlichkeit verstoßen worden«, teilte der VGH nach der Verhandlung am Mittwoch in Kassel mit. Der 8. Senat bestätigte damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen aus dem Jahr 2018.

Finanzielle Ausgleichsansprüche für Kammer ergeben sich daraus im vorliegenden Verfahren laut dem VGH nicht. Da der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren am Verwaltungsgericht Gießen keine konkreten Schadensersatzzahlungen beantragt habe, habe dieses zu Recht nicht über entsprechende Ansprüche Kammers entschieden. Der VGH könne den Streitfall nur im gleichen Umfang prüfen wie das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht.

Warten auf Urteilsbegründung

Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Dagegen ist Beschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu entscheiden hätte. Sie kann laut einer Sprecherin des VGH binnen vier Wochen nach der Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung eingereicht werden.

Entsprechend verhalten äußerten sich die Verfahrensbeteiligten nach dem Urteilsspruch der Kasseler Richter. Freddy Kammer und sein Anwalt Christopher Nübel zeigten sich gegenüber dieser Zeitung zufrieden damit, dass die Rechtswidrigkeit der Abwahl bestätigt wurde. »Über die weiteren Schritte werden wir beraten, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt«, sagte der frühere Hirzenhainer Bürgermeister.

Ähnlicher Tenor beim aktuellen Rathauschef und Kammer-Nachfolger Timo Tichai (parteilos) und bei Parlamentschef Marko Heun (UWG): Die Urteilsbegründung abwarten und dann entscheiden, wie es weitergeht.

Kammer hatte 2018 gegen seine Abwahl vor dem Verwaltungsgericht Gießen geklagt und beantragt, wieder ins Amt eingeführt und so gestellt zu werden, als sei er nicht aus dem Amt geschieden. Die Gießener Richter urteilten, dass die Abwahl wegen verschiedener Fehler rechtswidrig gewesen sei. Zugleich bestätigten sie aber die Rechtmäßigkeit der anschließenden Bürgermeisterwahl im Oktober 2017, die Tichai gewonnen hatte. In seiner Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass ein unrechtmäßig abgewählter Bürgermeister in einer solchen Situation allenfalls die Möglichkeit habe, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. In welcher Höhe, dazu machte es keine Angaben. Kammer und sein Anwalt befanden, das sei nicht richtig - und legten in Kassel Berufung ein. Auch die Gemeinde Hirzenhain legte gegen die Entscheidung Berufung beim VGH ein.

Das Verwaltungsgericht Gießen habe zu Recht festgestellt, dass der Bürgerentscheid über die Abwahl des Klägers rechtswidrig gewesen sei, urteilten nun die Kasseler Richter. Insbesondere sei bei der Formulierung des Bürgerentscheids gegen das Gebot der Sachlichkeit verstoßen worden. Es komme bei einem Bürgerentscheid auch nicht darauf an, ob sich dieser Verstoß möglicherweise auf das Ergebnis ausgewirkt haben könnte.

Die Gemeinde hatte unter anderem ihren Rathauschef in der öffentlichen Bekanntmachung als »streitsüchtig« bezeichnet. Daher blieb das Vorgehen der beklagten Gemeinde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen ohne Erfolg.

Vergleich abgelehnt

Einen vom 8. Senat vorgeschlagenen Vergleich lehnten Bürgermeister Tichai und Parlamentschef Heun nach einer Sitzungsunterbrechung und einer Beratung mit dem Anwalt der Gemeinde ab. Eine Zahlung von etwa 86 000 Euro an Kammer ist laut Heun »lose in den Raum« geworfen worden. »Dafür sehe ich aber keine Mehrheit im Parlament«, sagte der UWG-Politiker dieser Zeitung. Denn die Gemeindevertreter müssten über einen solchen Vergleich entscheiden. Kammer sagte, er sei immer bereit, einen Kompromiss einzugehen.

Bereits im Januar 2018 hatten die Mandatsträger über einen vom Verwaltungsgericht Gießen vorgelegten Vergleich zu entscheiden, der die Gemeinde etwa 49 000 Euro und eine Entschuldigung gekostet hätte. Während Kammer seinerzeit gegenüber dieser Zeitung seine Zustimmung signalisierte, lehnte die Gemeindevertretung den Vergleich mit den Stimmen von SPD und UWG ab, lediglich die CDU war dafür.

Nach dem Richterspruch am Mittwoch bleiben einige Fragen vorerst offen: Werden Kammer und/oder die Gemeinde Beschwerde einreichen? Drohen der Gemeinde Schadensersatzforderungen seitens des früheren Bürgermeisters? Und wann wird über die Klage Kammers gegen die Wahl Tichais entschieden, die am Mittwoch nicht Gegenstand der Verhandlung war?

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