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»Hier müsste mehr getan werden«

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Auch privat setzt sich Dr. Udo Ornik, Landratskandidat der Grünen, für Artenschutz ein, zum Beispiel mit Insektenhotels in seinem Garten in Mücke. © Sophie Mahr

Am 8. Oktober findet die Wahl des neuen Landrats für den Vogelsberg statt. Fünf Kandidaten treten an. Im Interview mit dieser Zeitung spricht der Kandidat der Grünen, Dr. Udo Ornik, über seine Motivation, Ziele für den Posten und die Kreispolitik.

Sie sind seit 40 Jahren in der Kommunalpolitik tätig. Was hat Sie motiviert, sich um den Posten des Landrats zu bewerben?

Zunächst etwas Ärger darüber, dass es eine Absprache zwischen der SPD und der CDU gibt, nur den CDU-Kandidaten ins Rennen zu schicken, und die SPD verzichtet. Ich gehe davon aus, dass ein undemokratischer Deal gemacht wurde zugunsten eines nicht zur Wahl stehenden Postens. Zudem hat es in den Jahren viele Themen gegeben, bei denen ich andere Vorstellungen gehabt habe, wie sich die Politik im Kreis entwickeln soll. Und die können nur realisiert werden, wenn ich Landrat wäre.

Was hat sich nicht so entwickelt?

Nehmen wir das Beispiel Energiewende. Da bin ich seit Jahrzehnten dran, entschiedenere Schritte einzufordern. Erst im letzten Jahr ist es gelungen, dass man sich bereit erklärt hat, über PV-Anlagen auf Kreisimmobilien nachzudenken. Bis es realisiert sein wird, hat man jedes Jahr sechsstellige Summen Geld für den unnötigen Bezug von Strom verschwendet.

Gibt es noch mehr?

Unsere Themen wie Klima- und Artenschutz sind für die Koalition im Kreistag ein rotes Tuch. Wir versuchen auch hier seit vielen Jahren, gegen eine deutliche Mehrheit neue Schwerpunkte zu setzen. Beim Thema ÖPNV müsste viel mehr getan werden, um gleichwertige Verhältnisse auf dem Land zu haben.

Wie würden Sie die erneuerbaren Energien voranbringen?

Das eine ist, alle kreiseigenen Immobilien mit PV nachzurüsten und, wo nötig, Heizungen zu erneuern. Das andere ist, bei der Genehmigungspraxis entsprechend Potenzial an Mitarbeitern anzubieten, die die Verfahren beschleunigen können.

Sie möchten die Chancen nutzen, die der Kreis bietet. Welche sind das?

Zunächst hat der Vogelsbergkreis von seiner Lage her gute Bedingungen. Er liegt zentral und hat Potenzial im Tourismus, dem Handwerk und der Zulieferindustrie. Auch die Arbeitslosigkeit ist relativ niedrig. Das hängt auch mit der Bereitschaft der Bevölkerung zusammen, teilweise große Strecken außerhalb des Landkreises zurückzulegen, um zur Arbeit zu kommen. Um das zu unterstützen, brauchen wir in Zukunft eine deutlich bessere ÖPNV-Anbindung.

Was sind die größten Probleme im Vogelsberg?

Die größten Probleme, die wir derzeit haben, die enorme Kosten verschlingen werden, sind der Ausbau des Kreiskrankenhauses Alsfeld (KKA) und die Sanierung der Schulen. Beides wird den Kreis an den Rand seiner Möglichkeiten bringen.

Was kann ein Landrat für das KKA tun?

Was das Krankenhaus betrifft, muss mehr auf Zusammenarbeit mit den anderen Krankenhäusern im Kreis gesetzt werden. Das Land, das mit Förderungen unterstützt, sagt »Ihr habt eigentlich genug Krankenhäuser«. In Zukunft wird es große Bedeutung haben, welche Leistungen wir in den Krankenhäusern anbieten. Der Landrat muss sich darum kümmern, dass es keinen Wettbewerb, sondern ein sich ergänzendes Angebot gibt. Er muss bestrebt sein, junge Familien hier zu halten oder anzusiedeln. Dass die Koalition vor Jahren die Geburtenstation geschlossen hat, war ein großer Fehler, den wir damals bekämpft haben. Jede Gesundheitsleistung, die nicht mehr angeboten wird, jeder Abbau von Infrastruktur wird die Attraktivität des Wohnortes infrage stellen.

Themenwechsel: Wie sollte der Kreis mit Wassermangel umgehen?

Zum einen haben wir durch unsere Initiative auf den Weg gebracht, dass es ein Wasserressourcenmanagement geben soll. Wir erwarten nun, dass es ein Ergebnis mit umsetzbaren Konsequenzen gibt. Ich würde mich dafür einsetzen, dass es kein Papiertiger ist, sondern dass auf Basis des Ergebnisses der Studie gehandelt wird. Die Trockenheit wirkt sich, was das Grundwasser betrifft, mit Verzögerungen von vier, fünf Jahren aus. Wenn erst dann, wenn unsere Brunnen zu versiegen drohen, Maßnahmen ergriffen werden, wird es zu spät sein. Wir müssen uns jetzt darauf vorbereiten.

Was würde eine nachhaltige und zukunftsorientierte Politik noch auszeichnen?

Ich würde auf Kreisebene gerne das Prinzip netto-null einführen. Das heißt, wenn wir größere Veränderungen vornehmen, müssen wir einen Ausgleich an anderer Stelle schaffen. Es soll ermöglichen, dass wir uns trotz begrenzter Ressourcen weiterentwickeln können. Im Moment kümmert sich niemand richtig um die Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen, viele stehen nur auf dem Papier, oft mehrmals für verschiedene Projekte.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben gesehen, dass an der A 49 Ausgleichsmaßnahmen nur halbherzig umgesetzt wurden, und dann beispielsweise Anpflanzungen nicht wirkungsvoll geschützt wurden. Viele Anpflanzungen sind bereits eingegangen.

Stichwort Technik: Wie sieht es mit der Digitalisierung aus?

Ich bin selbst beim Land Hessen für Digitalisierung zuständig. Die Kenntnisse würde ich in der Kreisverwaltung einsetzen. Hier muss - wie auch anderswo - deutlich aufgeholt werden. Vor allem bei der Sachbearbeitung, wo es darum geht, über IT-Unterstützung zum Beispiel bei Genehmigungen und Überwachung schneller und effektiver zu werden. Dass dies zu lange dauert, liegt mit daran, weil Papiermappen zwischen Behörden rumgeschleppt werden müssen und nur unzureichend verfolgt werden kann, wo ein Vorhaben steht. Einen Kreis in dieser Größenordnung zu steuern und zu verwalten, bedarf der Festlegung auf messbare Ziele und ein Controlling.

Und solche Ziele fehlen?

Es gibt im Kreis keine kommunizierten Ziele, die man sich setzt. Das liegt daran, dass man in der Koalition Angst davor hat, gefragt zu werden: »Was habt ihr eigentlich genau erreicht oder wo wollt ihr in zwei Jahren landen?« Deshalb bleibt alles Gesagte immer sehr unverbindlich. Lieber reiht man aneinander, was so alles in den letzten Jahren mit oder ohne eigenem Zutun passiert ist.

Das heißt, Sie wollen Ziele kommunizieren?

Ja, genau. Die werden transparent sein für alle, und man wird mich daran messen können. Man kann nicht immer nur Sachen verkünden, ohne zu sagen, was es kostet und wann man gedenkt, es fertig haben zu wollen.

Sie sind mit Ihrer Fraktion in der Opposition. Was hätte das für Auswirkungen als Landrat?

Wenn ich Landrat würde, würden sich die Machtstrukturen ändern. Der Landrat ist Exekutivorgan und kann nicht außen vor gelassen werden. Es wäre notwendig, neue Formen der Zusammenarbeit zu finden. Dass man künftig einen Vorschlag nicht einfach ablehnt, nur weil er von der Opposition kommt, sondern alles prüft und das Beste umsetzt. Vielleicht gäbe es dann auch neue Koalitionsoptionen.

Auch ein aktuelles Thema: Die Suche nach Unterkünften für Geflüchtete. Wie würden Sie damit umgehen?

Zunächst darf es nicht so sein, dass man Flüchtlinge für die Fehler der Politik verantwortlich macht, sie beschimpft und bedroht. Alle, die bleiben wollen und sich integrieren, müssen freundlich aufgenommen und anständig behandelt werden. Aber man muss für eine gerechte und sinnvolle Verteilung sorgen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Integration. Ich glaube, die Menschen, die zu uns kommen, sind eine Chance.

Eine Chance wofür?

Wir haben zunehmend große Probleme beim Thema Fachkräfte. Derzeit fehlen über 6000 für die kommenden Jahre. Die Überalterung der Gesellschaft ist ein unvermeidbares Problem. Wenn wir keine Elektriker, Heizungsmonteure oder Pflegekräfte mehr finden, wird mit der Zeit alles, was wir erreicht haben, zusammenbrechen. Deshalb ist es eine große Chance, wenn wir aus den Menschen, die hierherkommen, genügend Fachkräfte gewinnen.

Warum sollten die Vogelsberger Sie wählen?

Ich habe langjährige Erfahrung mit Kommunal- und Kreispolitik. Und ich weiß, wie Verwaltung funktioniert und wie man Menschen zusammenbringt und motiviert. Ich weiß, wie man Konflikte löst und sich Ziele setzt. Und diese gemeinsam erreicht! Ich werde mich der Herausforderung stellen, die Basisinfrastruktur im Kreis zu erhalten und auszubauen, den ÖPNV zu verbessern, die Schulen zu erhalten, den Kreis und seine Beteiligungen klimafreundlich, wasserschonend, nachhaltig und fortschrittlich weiterzuentwickeln.

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