Höchststrafe für Ayleens Mörder

Im Prozess um den Mord an der 14 Jahre alten Ayleen hat das Landgericht Gießen gegen den Angeklagten die höchstmögliche Strafe verhängt, die das deutsche Recht kennt: »lebenslänglich« mit anschließender Sicherungsverwahrung. Zudem stellten die Richter bei Jan P. die besondere Schwere der Schuld fest.
Die Gesellschaft und jedes einzelne Mädchen muss vor dem Angeklagten geschützt werden.« Während Richterin Regine Enders-Kunze dies sagt, schaut sie diesem Angeklagten ins Gesicht. Und was macht das mit Jan P., der vor einem Jahr und zwei Monaten die 14 Jahre alte Ayleen getötet hat? Augenscheinlich nichts. Er blickt starr nach vorne, so als ginge ihn das alles nichts an. In ihrer Urteilsbegründung geht Enders-Kunze aber noch weiter: Man dürfe das Internet nicht »verteufeln«, wenn jeder Nutzer sich an einfachste soziale Regeln halte. »Teuflisch wird es, wenn jemand das Internet nutzt, um seine Ziele zu erreichen, die er in der Realität nicht erreichen kann. Das haben Sie gemacht«, sagt die Richterin zu Jan P. »Sie waren der Teufel.«
Die fünfte Strafkammer als Schwurgericht am Landgericht Gießen hat den 30 Jahre alten Jan P. wegen Mordes an Ayleen in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung, Entziehung Minderjähriger und wegen des Besitzes von Kinderpornografie zur höchstmöglichen Strafe verurteilt, die das deutsche Recht kennt: »lebenslänglich« mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließender Sicherungsverwahrung. Damit folgt das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte lediglich die besondere Schwere der Schuld als nicht bewiesen angesehen.
Eine Stunde lang begründet Richterin Enders-Kunze das Urteil. Diese Stunde ist für die Zuschauer im übervollen Zuschauerraum und vor allem für die Familie von Ayleen schwer zu ertragen. Enders-Kunze entschuldigt sich bei der anwesenden Mutter und zwei Verwandten, weil sie aus einigen der über 7000 Chat-Nachrichten zwischen Jan P. und Ayleen zitiert. Diese wurden in dem Verfahren nicht öffentlich, sondern im Selbstleseverfahren eingeführt.
Die Richterin tut dies, weil die Chats zeigen, warum Jan P. Ayleen ermordet hat. Die Tat hatte der aus dem Lahn-Dill-Kreis stammende Mann am ersten Verhandlungstag im Juni gestanden - in denkbarer Kürze und nach Ansicht des Gerichts mit der Schutzbehauptung, dass ein Streit vorausgegangen sei. Enders-Kunze betont, Jan P. habe das Mädchen aus rein sexuellen Motiven auf der Parkbank zwischen Cleeberg und Espa erwürgt. »Er wollte sein Ziel mit allen Mitteln durchsetzen. Mit seinen eigenen Worten: Mit ihr ›ficken‹. Es gibt keinen Zweifel: Weil Ayleen das nicht wollte, musste sie sterben.«
Enders-Kunze verwendet viel Zeit darauf, zu erklären, wie es zu dem Mord kommen konnte. Sie zieht die Biografie des Angeklagten heran: Er sei früh verhaltensauffällig gewesen und habe sich »ausgesprochen gleichgültig« gegenüber Regeln des Miteinanders gezeigt. Sexuelle Grenzverletzungen habe es bereits im Grundschulalter gegeben. Mit 14 Jahren beging er »angesichts des Alters eine mehr als außergewöhnliche Straftat«, als er eine Elfjährige vergewaltigen wollte. Dafür war er zehn Jahre lang in der forensischen Psychiatrie untergebracht. Sein »stark ausgeprägtes Interesse an Sex« habe sich im wahren Leben nicht erfüllt. Also habe er eine »exzessive Akquise im Internet« betrieben. Im Smartphone des Angeklagten fanden sich über 100 Chats mit über 30 000 Nachrichten - und die sind nur die Spitze des Eisbergs. Stets sei es ihm nur um Sex gegangen. »Die Chatpartnerinnen waren für ihn austauschbar, er wollte nichts über ihre Gefühle oder ihren Charakter erfahren.«
Vor allem Mädchen oder beeinträchtigte Frauen habe er »ohne Hemmungen« und ohne Grenzen oder Moral zu kennen manipuliert und »unter maximalem Druckaufbau so ein Drohverhalten an den Tag gelegt, dass die Chatpartnerinnen gefangen waren in einem Teufelskreis«. Und den habe Ayleen, die im April 2022 das erste Mal mit Jan P. geschrieben hatte, nicht durchbrechen können. Nach Ansicht des Gerichts gibt es zwei Versionen, was am 21. Juli zwischen Mitternacht und 3.30 Uhr zwischen Cleeberg und Espa passiert ist: Entweder habe Jan P. trotz Gegenwehr Sex mit Ayleen haben wollen und sie dabei erwürgt. Oder er wollte verhindern, dass sie ihn nach der vollzogenen oder versuchten Vergewaltigung verrät. Damit stünden zwei mögliche Mordmerkmale fest.
Das »völlige Ausmaß des Grauens« werde im Nachtatverhalten von Jan P. deutlich, sagt Enders-Kunze. Und dies hat Auswirkungen auf die Entscheidung des Gerichts, neben der Sicherungsverwahrung die besondere Schwere der Schuld zu erkennen. Jan P. habe Ayleens Leichnam im Teufelsee bei Echzell regelrecht »entsorgt«, dann auf dem Heimweg bereits die Adresse eines anderen Mädchens ins Navigationsgerät eingegeben und am nächsten Tag Masturbationsvideos von sich verschickt. Einem Mädchen schrieb er dabei: »Ich will dich nackt sehen, sonst bringe ich dich um.« Jan P. habe nach dem Mord keine Reue, Scham oder Empathie gezeigt, sondern sei stattdessen »gut gelaunt in den nächsten Tag gestartet«. Dies sei »außergewöhnlich im negativsten Sinne«. Hinzukommt: Jan P. zeige bis heute »nicht ansatzweise Schuldgefühle«.
Das Gericht schließt sich der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters Dr. Hartmut Pleines an, nach dem Jan P. voll schuldfähig ist. Zwar sei bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen gepaart mit einer Dissexualität festgestellt worden. Dabei handelt es sich aber nicht um eine psychische Erkrankung. Das heißt: Jan P. müsse nicht so handeln. »Er will es.«
Das letzte Wort richtet Enders-Kunze an die Familie: Dass viele Fragen offen geblieben seien, sei bedauerlich. Sie sollten sich aber keine Vorwürfe machen. In dem Prozess sei deutlich geworden, dass es Menschen gebe, deren Manipulationen und Taten weder vorhergesehen noch verhindert werden könnten.