»Ich bin zufrieden«

Nidda (em). Das seltene Fest des 100. Geburtstages konnte kürzlich Sofia Fuß, geborene Schuster, im Kreis ihrer Familie feiern. Die Seniorin kommt noch mit der täglichen Unterstützung der Verwandten allein in ihrer Wohnung zurecht und kann sehr anschaulich aus ihrer Vergangenheit erzählen. Wohl hat sie aufgrund ihres hohen Alters dann und wann gesundheitliche Beschwerden, aber insgesamt kann sie sagen:
»Ich bin zufrieden«.
Der zweite Weltkrieg und die Umwälzungen der Nachkriegszeit haben tief in das Schicksal der Jubilarin eingegriffen. Ihr Leben als Erwachsene führte sie weit entfernt von ihrer Kindheitsheimat Rumänien erst in die Ukraine, dann nach Süddeutschland und schließlich nach Oberhessen. Geboren wurde sie 1923 als Kind einer Bauernfamilie in Großscheuern, sieben Kilometer von Hermannstadt in Siebenbürgen, heute Sibiú, entfernt. Auf dem elterlichen Selbstversorger-Hof wuchs sie mit sieben Geschwistern auf und alle mussten von klein auf in Haus und Garten, Stall und Feld mithelfen. Die Region Sibiú war eine deutsche Sprachinsel, in der Schule, der evangelischen Kirche wurde deutsch gesprochen.
Bei der vielen Arbeit der Familie konnte die junge Sofia keinen Beruf erlernen, auf dem Bauernhof wurden alle Hände gebraucht. Auch Simon Fuß, der am 12. April 1942 ihr Ehemann wurde, war Bauer, bewirtschaftete einen Hof und führt nebenbei eine kleine Gastwirtschaft. Gern erinnert sich Sofia Fuß an die große Hochzeit mit über 100 Gästen aus beiden Familien - eigentlich nur Ältere, Frauen und Kindern. Denn schon warf der Krieg seine Schatten voraus, die jungen Männer waren alle an verschiedenen Fronten und im Januar 1943 wurde auch der Ehemann von Sofia Fuß eingezogen. Sie hatte kaum Nachricht von ihm und sorgte sich um sein Überleben, sein Wohlergehen. Die kleine Tochter war kaum drei Jahre alt, als im eisigen Januar 1945 Sofia Fuß von russischen Truppen in ein Lager in der Ukraine verschleppt wurde, wo sie mit anderen rumänisch-deutschen Frauen und Männern Zwangsarbeit leisten musste. Von ihrem Kind wusste sie nur, dass es bei den Großeltern gut aufgehoben war und doch war die Trennung schmerzlich. Nach zwei Jahren wurde Sofia Fuß plötzlich entlassen und in die DDR abgeschoben. Es gelang, mit ihrem Bruder in Dresden und auch mit den Eltern in Rumänien Kontakt aufzunehmen. So erfuhr sie, dass ihr Mann überlebt hatte und sie suchte.
Gemeinsame Flucht in den Westen
Gemeinsam flohen sie über die damals noch leicht zu überwindende Grenze nach Westen. Dem Paar wurde dann noch ein kleiner Sohn geboren und die Familie bewirtschaftete zuerst ein Naturfreundehaus in der Nähe von Schwäbisch Gmünd. Auch die Tochter wurde in die Bundesrepublik geholt - die Eltern hatten sie seit Jahren nicht mehr gesehen.
Simon und Sofia Fuß beschlossen, sich ein größeres Aufgabenfeld zu suchen, wurden auf die Gaststätte »Hanauer Hof« in Niddas Bahnhofstraße aufmerksam, kauften das Anwesen und führten mit Hilfe der Tochter die Gastronomie weiter. Es war ein Betrieb, der die Familie sehr forderte: »Der Arbeitstag begann spätestens morgens um neun und endete abends um neun Uhr« erinnert sich die Jubilarin. Kollegengruppen aus der Post, dem Finanzamt und weiteren Innenstadtbetrieben seien zum Essen gekommen. 1974 beschloss die Familie, die Gaststätte zu verpachten und baute sich noch ein eigenes Haus. Simon Fuß arbeitete als selbstständiger Taxifahrer, seine Frau leistete Familienarbeit, zumal Sohn und Tochter heirateten und nacheinander Enkelkinder geboren wurden. 1996 starb Simon Fuß. Die Nähe der nächsten Generationen war ein Trost für die Witwe.
Ob sie manchmal noch Heimweh nach Siebenbürgen hat? »Ich war vor Jahren wieder zu Besuch dort, aber ich fühle mich hier wohl«, sagt sie. »Meine Familie ist in meiner Nähe - mehr kann ich nicht wünschen!« Zur Gratulation kamen Bürgermeister Thorsten Eberhard und Pfarrer Alexander Starck.