»Ich reiche allen immer wieder die Hand«

Benjamin Harris ist seit einem Jahr Bürgermeister. Dass es in Büdingen ruhiger geworden ist, seit Erich Spamer als Rathauschef abgedankt hat, lässt sich wahrlich nicht behaupten. Mit dem Druck geht der 45-Jährige bislang recht souverän um und bleibt sich und seiner gelassenen Art treu. Das wird auch im KA-Interview deutlich. Ein Gespräch über herausfordernde Zeiten.
Es gibt Tage, da läuft es klasse. Und es gibt welche, da musst du am nächsten Morgen wieder aufstehen«, sagt Benjamin Harris. Der Büdinger Bürgermeister ist seit einem Jahr im Amt. Der Druck, das merkt er, ist groß. Den Herausforderungen, erklärt der 45-Jährige, stellt er sich dennoch gerne. Die größten Brocken dürften der Hochwasserschutz, die Kinderbetreuung und die bauliche Entwicklung seiner Heimatstadt sein. Es sind denn auch die Schwerpunkte im Interview mit dieser Zeitung.
Herr Harris, Sie sind seit einem Jahr Bürgermeister. Was ist der größte Unterschied zu Ihrem vorigen Leben?
Dass ich die Verantwortung für so viele Menschen trage. Es ist aber eine tolle Möglichkeit, in Büdingen Dinge zum Positiven verändern zu können. Ich bin dankbar, mich dieser Aufgabe mit so vielen engagierten Menschen widmen zu dürfen.
Gehen wir mal in medias res. Der Hochwasserschutz ist wohl das wichtigste Thema in Büdingen. Laufen die Prozesse Ihrer Ansicht nach schnell genug?
Bei diesem Thema kann es gar nicht schnell genug gehen. Der entscheidende Faktor ist die Zeit. Am liebsten hätten wir doch alle gerne schon das Rückhaltebecken am Hammer, die neue Mauer am Seemenbach oder den Damm bei Wolf. Damit die Stadt die Hainmauer sanieren kann, muss diese ihr aber erst einmal gehören. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Anwälte der Stadt und der Immobilien GmbH, der die Mauer gehört, sitzen zusammen. Es geht um den Kaufvertrag und die Grunddienstbarkeit. Einen nicht unerheblichen Anteil des benötigten Geldes haben wir schon im Haushalt 2023 vorgesehen.
Ihr Amtsvorgänger Erich Spamer (FWG) kritisiert den zuständigen Wasserverband Nidder-Seemenbach immer wieder im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz in Büdingen. Ist seine Kritik gerechtfertigt?
Kritik dieser Art ist nie zielführend. Es ist nicht meine Art, die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Es ist außerdem schlechter Stil, öffentlich derart miteinander umzugehen. Ich führe gute und konstruktive Gespräche mit dem Verbandsvorsitzenden Joachim Arnold genauso wie ich sie im Übrigen mit dem Hause zu Ysenburg und Büdingen oder der Hessischen Landgesellschaft führe (lacht). Ich möchte es in aller Deutlichkeit betonen: Büdingen und der Wasserverband verfolgen das gleiche Ziel: die Stadt und ihre Bevölkerung schnellstmöglich vor einem erneuten Hochwasser zu schützen.
Zu wenig Personal, zu wenig Betreuungsplätze: In Büdingens Kindergärten ist die Lage seit einigen Jahren prekär. Haben Sie nicht vielleicht Neuigkeiten, die etwas beruhigen?
Die Situation ist angespannt, keine Frage. Die Pandemie hat die Lage noch einmal verschärft. Dennoch sind inzwischen Fortschritte zu verzeichnen. Kein Kindergarten muss mehr geschlossen werden, die verkürzten Öffnungszeiten gehören der Vergangenheit an. Wir bekommen Zuwächse beim Personal, konnten die Situation stabilisieren. Weitere Betreuungsplätze sind jetzt in Orleshausen geschaffen worden. Dennoch hilft das jenen Eltern nicht, die auf einer langen Liste stehen und dringend einen Betreuungsplatz für ihren Nachwuchs benötigen.
Wann werden weitere Kindergärten gebaut?
Ich rechne damit, dass in Büdingen mit dem Bau in der Orleshäuser Straße bald begonnen werden kann. Zudem besteht die Möglichkeit, das seit längerem geschlossene Dorfgemeinschaftshaus in Vonhausen in einen Kindergarten umzuwandeln. Diese Idee, die der Magistrat ins Spiel gebracht hat, wäre schnell umsetzbar und würde eine Kooperation mit der Eichbaumschule ermöglichen. Im Zuge des Umbaus könnten auch Räume für die Dorfgemeinschaft geschaffen werden.
Ihre CDU ist stärkste Kraft im Parlament, Sie waren strahlender Wahlsieger. Inzwischen stehen Ihre Fraktion und Sie zuweilen ziemlich alleine da. Der Druck auf Sie wächst. Wie beurteilen Sie die Lage?
Es gibt Tage, da läuft es klasse. Und es gibt welche, da musst du am nächsten Morgen wieder aufstehen. Ich weiche dennoch nicht von meiner Linie ab und reiche allen demokratischen Parteien immer wieder die Hand. Ich bin davon überzeugt: Bringen wir kommunalpolitisch die Dinge gemeinsam auf den Weg, dann bringen wir die Stadt nach vorne. Verlieren wir uns im politischen Streit und kehren zu den Büdinger Verhältnissen zurück, dann verlieren wir an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Und das ist fürs Büdinger Binnenklima schädlich.
Ich möchte aber betonen: Die Zusammenarbeit mit der Ersten Stadträtin (Katja Euler, SPD, Anm. d. Red. ) läuft hervorragend. Wir haben eine gute Chemie. Und im Magistrat arbeiten wir vertrauensvoll und partnerschaftlich.
Das Stadtbild verändert sich. Viele Leute meinen, Büdingen verliere zunehmend an Charakter. Zudem sei keine durchdachte Stadtplanung erkennbar. Immer wieder gerät dabei auch das Bauamt in die Kritik. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Das Bauamt steht zu Unrecht in der Kritik. Es ist die ausführende Abteilung im Rathaus, die Beschlüsse und Aufträge des Magistrats und der Stadtverordneten umsetzt. Alle Mitarbeiter sind bemüht, den Vorgaben der Stadtpolitik zu entsprechen.
Die Stadt Büdingen befindet sich in der besonderen Situation, am Rande der Rhein-Main-Metropolregion von einem bislang noch nicht erlebten Boom zu profitieren. Wir werden wachsen, was grundsätzlich gut ist. Jedoch müssen wir uns fragen, wie Büdingen in 15, 20 Jahren aussehen soll. Entsprechende Leitlinien müssen wir jetzt entwerfen. Dabei gilt es, nicht immer den kurzfristigen Profit in den Fokus zu rücken, sondern, wie zurecht gefordert wird, den Charakter der Stadt zu erhalten.
Davon ist allerdings - mit Blick auf den Bau von Luxuswohnungen am Wilden Stein und beim jüngsten Neubau in der Bahnhofstraße - nichts zu sehen.
Die Häuser am Wilden Stein sind zwar noch nicht fertig, aber jeder merkt, dass die Neubauten unglücklich sind. Sie befinden sich zu nah am Wilden Stein, der als Ausflugsziel, als Naherholungsgebiet und als überregional bedeutsames Geotop für Büdingen von unschätzbarem Wert ist. Das war uns Stadtverordneten, als wir darüber entschieden haben, so vielleicht nicht bewusst. Und ich sage »uns«, weil ich damals diesem Gremium angehört habe und mir, wie vielen anderen auch, die Tragweite wohl nicht bewusst war. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass wir den Umzug des Alten- und Pflegeheims des Roten Kreuzes vom Wilden Stein ins Seemenbachtal keinesfalls gefährden wollten. Da ging es um viel Geld und um eine Entwicklung, bei der das, was jetzt für alle sichtbar am Wilden Stein entsteht, nicht separat betrachtet werden konnte.
Und was sagen Sie zur Bahnhofstraße?
Über das Naumann-Gebäude ließe sich viel erzählen. Fakt ist: Der Bebauungsplan für die Bahnhofstraße lässt das zu. Es zeigt, dass wir in Büdingen noch andere Instrumente benötigen, um eine verträgliche Nachverdichtung zu forcieren. Zwar lässt sich über Schönheit und Baukultur trefflich streiten - es ist aber auch mir nicht entgangen, dass sich die Bahnhofstraße in den vergangenen Jahren optisch nicht zu ihrem Vorteil entwickelt hat. Um das Gegenteil zu erreichen, wollen wir als Stadt mit einem Fachbüro zusammenarbeiten. Dabei stehen zwei Fragen im Mittelpunkt: Was passt zu Büdingen, zur Größe und zum Charakter der Stadt? Und welche Instrumente sind notwendig, damit wir unsere Vorstellungen verwirklichen können und das Feld nicht Investoren überlassen müssen?
Was wünschen Sie sich für das zweite Jahr als Bürgermeister?
Dass wir weiter eine Stadt entwickeln und gestalten, in der wir gerne leben, arbeiten und uns engagieren. Dabei spielt zumal die Infrastruktur in der Kernstadt und in den Dörfern eine große Rolle. Vor allem der Verkehr gehört besser geordnet und strukturiert. Anlieger, Fußgänger und Radfahrer sind mit ihren Bedürfnissen, ihren Sorgen und Wünschen genauso wichtig wie Autofahrer. Das muss aber auch im Alltag spürbar werden.



