Im Internet zum Großdealer geworden
VON MICHAEL GIERS
Gießen/Schotten . Hinter den Kulissen des Verhandlungssaals der 7. Großen Strafkammer am Landgericht Gießen wurden die Rahmenbedingungen für das zu erwartende Urteil gegen einen Rauschgiftdealer mit Wohnanschrift in Schotten ausgehandelt: Der 28-Jährige wird zwischen vier Jahren und zwei Monaten sowie fünf Jahren Haft zu erwarten haben.
An diesem Verständigungsgespräch (Paragaf 257 der Strafprozessordnung) nahmen neben dem Beschuldigten sowohl sein Rechtsanwalt Frank Richtberg (Gießen), der das Ganze angeschoben hatte, als auch das Gericht unter Vorsitz von Peter Neidel und die junge Staatsanwältin Nathalie Dohmen teil. Neidel erfüllte am zweiten Prozesstag seine Pflichtaufgabe und gab im wieder öffentlichen Teil der Hauptverhandlung all das zu Protokoll, was zuvor im internen Kreis besprochen und ausgehandelt worden war.
Demnach ließ die Staatsanwältin deutlich erkennen, welche Marschroute sie vorzugeben bereit ist: Unter vier Jahren Haft laufe gar nichts bei der zu erwartenden Verständigung, was der Verteidiger anders bewertete, als er eine Strafe zwischen dreieinhalb und vier Jahren für angemessen erachtete. Dies kam für das Gericht nicht in Frage, zumal Staatsanwältin Dohmen es zunächst für angebracht hielt, auch mehr als fünf Jahre Haft in Erwägung zu ziehen.
Bei diesen Verständigungsgesprächen, im Volksmund auch Deal genannt, geht es schon ein bisschen zu wie im Basar. Nach dieser Runde im engsten Kreis gab der Richter öffentlich bekannt, welchen Rahmen das Gericht vorschlägt: Vier Jahre plus zwei Monate bis hin zu fünf Jahren sei der Spielraum, wenn der Beschuldigte die Vorgabe erfülle, ein qualifiziertes Geständnis abzulegen. Anwalt Richtberg und sein Mandant, der modisch gekleidet, aber wegen der vorliegenden Untersuchungshaft in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, zogen sich kurz zurück und stimmten dann dem Vorschlag zu.
Liste der Vergehen
Der Beschuldigte kommt somit für sein Vergehen, Betäubungsmittel im großen Stil und auch eine Handfeuerwaffe der Marke Glock veräußert zu haben, mit einer für eine solche Straftat eher moderaten Strafe davon. Das liegt unter anderem daran, dass der Mann mit Schottener Adresse nicht vorbestraft war. Also jemand, der im Internet zum Großdealer wurde, weil das so einfach über die Bühne ging.
Da soll er Mengen von Rauschgift wie Kokain und Cannabis im Kilobereich beschafft und weiterverkauft haben. Laut Anklage bezog er dafür jeweils hohe Summen, teils im fünfstelligen Eurobereich. Insgesamt kommt für die neun Straftaten, die dem etwa 1,90 Meter großen Mann jetzt zur Last gelegt werden, ein sechsstelliger Betrag zustande.
Hauptabnehmer der Lieferungen war ein Mann aus Romrod. Dieser betätigte sich demnach als Dealer, der seine Kunden direkt versorgte. Er ist in einem gesonderten Prozess bereits Ende 2022 verurteilt worden und erhielt eine Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Dabei schlug auch zu Buche, dass er bereits vorbestraft war.
Nicht so der Angeklagte des aktuellen Prozesses. Im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme muss er ein umfassendes Geständnis ablegen, wie es im Verständigungsgespräch ausgehandelt worden war. Die Zeugenbefragungen zweier Polizeibeamter sollen Aufschluss darüber geben, wie der Täter im Netz zu Werke ging. Ein Spezial-Ermittler wird die Chat-Verläufe im Netz genau erläutern. Außerdem erhalten der bereits verurteilte Mann aus Romrod sowie der Käufer der Handfeuerwaffe eine Ladung als Zeuge. Wobei davon auszugehen ist, dass Letzterer sein Recht auf Aussageverweigerung in Anspruch nimmt.
DasVerfahren ist ursprünglich bis Ende März terminiert worden. Durch das Verständigungsgespräch, und das ist der Sinn des Ganzen, dürfte eine Verkürzung im zeitlichen Rahmen nahe liegen.