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»In 35-jähriger Berufspraxis noch nicht erlebt«

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Apotheker Michael Knoth sieht kurzfristig kein Licht am Ende des Tunnels. © Stefan Weil

Fiebersenkende Medikamente, Hustensäfte und Antibiotika werden auch in Oberhessen rar. Zwei Apotheker aus Nidda und Schotten erklären Hintergründe - und üben deutliche Kritik.

Region . Fiebersenkende Medikamente, Hustensäfte und Antibiotika werden auch in der Region rar und stehen in den Apotheken nicht mehr unbeschränkt zur Verfügung. Im Gegenteil: Viele Vorräte gehen zur Neige. »Es kommt nicht viel nach. Was wir an notwendigen Arzneien ordern können und bekommen, steht in keinem Verhältnis zum Bedarf«, konstatiert Jürgen Klein, der in Nidda die Bahnhofs- und die Markt-Apotheke betreibt.

Drastischere Worte findet Michael Knoth, Inhaber der Park-Apotheke in Schotten. »Gefühlt jedes zweite Medikament ist nicht lieferbar. Patienten müssen mitunter viermal länger als üblich warten. Das sorgt für schlechte Stimmung. Dass es keinen Fiebersaft oder keine Zäpfchen für unter zweijährige Kinder gibt, habe ich in meiner 35-jährigen Berufspraxis noch nicht erlebt«, kritisiert er.

Zu den Lieferengpässen kommt die erhöhte Nachfrage durch die aktuelle Erkältungswelle. Jürgen Klein sieht den hohen Krankheitsstand, von dem auch viele Kinder betroffen sind, nicht zuletzt als Folge der Corona-Zeit. »Zwei Jahre hemmten Masken und Lockdown die Verbreitung von Erkältungskrankheiten. Jetzt, wo die meisten Hygienemaßnahmen weggefallen sind, trifft es die Menschen umso intensiver«, erklärt er.

Bei zwei Hauptwirkstoffen, Paracetamol und Ibuprofen, gebe es große Probleme. »Es kommt immer mal lediglich ein Fläschchen, auch bei Zäpfchen sieht es nicht besser aus«, schildert Klein.

Corona-Zeit verstärkt Probleme

Die Engpässe beträfen nicht nur Medikamente gegen Atemwegserkrankungen. »Es geht quer durch die Bank«, berichtet Klein. Probleme gebe es auch bei Schmerzmitteln wie Novalgin, bei Medikamenten gegen erhöhten Blutdruck oder Herzmitteln sowie bei Antibiotika. Die Lieferprobleme seien in seiner Branche nichts grundsätzlich Neues. »In der Corona-Zeit hat sich das verstärkt, seit dem Herbst ist es ganz schlimm geworden«, sagt der Apotheker. Für die Engpässe gebe es mehrere Gründe. Bei den Händlern fehle Verpackungsmaterial, etwa Folien oder Papier. Zudem seien wichtige Teile, etwa von Spraydosen, nicht vorhanden. Aber vor allem sei es der Preisdruck, den die Krankenkassen den Händlern und Produzenten auferlegt hätten. »Vieles, was früher in Deutschland oder Europa produziert wurde, ist nach China und Indien ausgelagert worden. In Europa gibt es kaum noch Produktionsstandorte. Wenn weltweit nur noch zwei Firmen ein Produkt herstellen, es an den Standorten aber Schwierigkeiten gibt, etwa durch Corona-Auflagen oder eine hohe Zahl an Krankheitsfällen, entstehen Probleme, die wir schnell spüren. Dann kommt bei uns nichts nach«, zeigt Klein auf.

Kurzfristige Lösungen gebe es nicht. »Mit neuen Gesetzen ist wenig zu machen. In Deutschland sind Arzneien nicht ungleich verteilt. Es findet ein regelmäßiger und rascher Austausch statt. Eine staatliche Reglementierung ist nicht hilfreich und nicht nötig.« Stattdessen, sagt Klein, müsse die Produktion in Deutschland wieder attraktiver gemacht werden. »Da sind die Krankenkassen in der Verantwortung, die viel zur Misere beigetragen haben.«

Doch das könne nicht von heute auf morgen realisiert werden, sagt Michael Knoth. »Wenn man die Planungszeiten berücksichtigt und die Bürokratie in Europa und Deutschland, da vergehen mindestens zwei Jahre, bis eine Besserung eintreten kann. Ich sehe da kurzfristig kein Licht am Ende des Tunnels«, betont der Apotheker.

Jürgen Klein erachtet es als sinnvoll, ein gewisses Kontingent an Arzneien in Deutschland zu bevorraten. »Das gilt vor allem für die wichtigen Wirkstoffe«, sagt er. Für das Personal und für Menschen, die einen Beruf im Gesundheitswesen ergreifen wollten, müssten bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. VON STEFAN WEIL

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