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Jan P. googelt »Wasserleiche«

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Der Angeklagte Jan P. (Mitte) mit seinen Verteidigern Henner Maaß (l.) und Jannik Rienhoff (r.). © Barbara Czernek

Mit der Hilfe von digitalen Spuren haben die Ermittler im Fall der getöteten 14-jährigen Ayleen den Tattag Ende Juli 2022 rekonstruiert. Im Prozess am Landgericht Gießen stellten Kriminalbeamte nun ihre Erkenntnisse vor - zum Beispiel über die Internetsuche des 30 Jahre alten Angeklagten Jan P. am Tag nach der Tat.

Die Freiburger Polizei informierte am 24. Juli 2022 um 15.38 Uhr in einer Pressemitteilung die Öffentlichkeit darüber, dass die 14 Jahre alte Ayleen aus Gottenheim vermisst wird. Am Vortag hatte Jan P. aus Waldsolms in die Google-Suchmaschine »Wasserleiche in Hessen gefunden« eingegeben. Während Familie und Freunde von Ayleen sich Sorgen machten und hofften, das Mädchen wiederzusehen, wusste Jan P., dass es nicht mehr am Leben war. Denn der Mann aus dem Lahn-Dill-Kreis hatte die Schülerin in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli bei Langgöns-Cleeberg getötet und ihren Leichnam im Teufelsee bei Reichelsheim abgelegt.

Die Ermittler wissen davon, weil sie mit der Hilfe von digitalen Spuren den Zeitraum rund um die Tat rekonstruieren können. Das ist so genau möglich, dass die Vorsitzende Richterin der 5. Strafkammer, Regine Enders-Kunze, einer als Zeugin geladenen Kriminalbeamtin am Montag während des dritten Verhandlungstages sagt: »Wir sind beeindruckt von Ihrer Arbeit.«

Geodaten und Pulsfrequenz

Seit dem 13. Juni muss sich Jan P. vor Gericht verantworten. Ihm wird unter anderem Mord und versuchte Vergewaltigung zulasten der 14 Jahre alten Ayleen vorgeworfen. Am ersten Verhandlungstag hatte der heute 30 Jahre alte Angeklagte über einen seiner Verteidiger die Tötung gestanden, jedoch angedeutet, die Tat im Affekt begangen zu haben. Dies sieht Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger anders.

Und das hängt auch mit den digitalen Spuren zusammen. Alleine die Anzahl der Nachrichten, die Jan P. und Ayleen innerhalb von drei Monaten ausgetauscht haben, beläuft sich auf über 7000. Die Ermittler glauben, dass Jan P. das Mädchen Ende April 2022 anschrieb, nachdem er eine öffentliche Story bei Snapchat gepostet hatte. So jedenfalls schildert dies ein 26 Jahre alter Kriminalbeamter im Zeugenstand. Sehr schnell habe sich Jan P. dem Mädchen als sogenannter Sugar Daddy angeboten: Geld für intime Fotos. Dem sei das Mädchen nicht abgeneigt gewesen, sagt der Polizist. Später habe Jan P. aber mehr gewollt: sexuelle Treffen in der realen Welt.

Der Beamte spricht von einer »erdrückenden Anzahl an Forderungen«. Das Mädchen sei überfordert gewesen und auf Abstand gegangen. Doch dann habe Jan P. sie bedroht: zuerst damit, er tue sich selbst etwas an, dann Menschen aus ihrem Bekanntenkreis oder der Familie - auch durch einen Henker. Und am Ende soll er ihr gedroht haben, dem Vater alles zu erzählen.

Das Gros der digitalen Daten - unter anderem Geodaten, der Verbindungsaufbau zu Funkzellen, Herzfrequenz, gezählte Schritte, Temperatur des Akkus - stammt von zwei Smartphones und einer Smartwatch des Angeklagten Jan P. sowie von Ayleens iPhone. Es gibt außerdem Kameraaufnahmen von einer Tankstelle, einem Beautysalon und einem Privatanwesen, auf denen der silberfarbene Ford Ka mit den auffällig roten Aufklebern von Jan P. zu sehen ist.

Die 31 Jahre alte Ermittlerin im Zeugenstand arbeitet im Polizeipräsidium Mittelhessen beim ZK30 für Täterorientierte Ermittlungen und war Mitglied der Sonderkommission »Lacus«. Anhand von Kartenmaterial zeigt sie, wann sich Jan P. wo aufgehalten und zu welchem Zeitpunkt er was mit Ayleen geschrieben hat. Das alles mündet in einer Zeitleiste, die ausgedruckt einen Meter lang ist.

Jan P. droht Ayleen mehrmals

Sie beginnt damit, dass Jan P. am 21. Juli 2022 um 11.55 Uhr nach Ehringshausen aufbricht, um sich bei einem Bekannten Geld zu leihen, etwa 50 bis 60 Euro. Um 13.10 Uhr setzt er sich in Richtung Gottenheim in Bewegung. Um 13.24 Uhr schreibt Jan P. via Snapchat an Ayleen: »Meld dich mal bitte, wenn du Schule aus hast.« Und um 15.23 Uhr wird eine erste Einwahl von Jan P. ins Funknetz der kleinen Gemeinde in Baden-Württemberg registriert.

Spätestens um 16.12 Uhr muss Ayleen klar gewesen sein, dass Jan P. es ernst meint mit einem Treffen. Sie schreibt ihm, es gehe ihr nicht gut, sie wolle kein Treffen. Sie bittet ihn, »keinen Scheiß« zu machen und etwas bei ihr einzuwerfen - vermutlich Geld, das er vorgab, ihr für Intimbilder geben zu wollen. Sie versucht, ihn um 16.23 Uhr erneut abzuwimmeln, indem sie schreibt, sie werde ihre Mutter zum Arzt begleiten. Als sie ihm um 16.47 Uhr klarmacht, sie wolle sich nicht mit ihm treffen, antwortet Jan P.: »Soll ich deine Eltern informieren, deinem Vater alles sagen?« Dann gibt sie nach. Etwa drei Minuten später kommt es zum Treffen. Acht Stunden später, so wirft es ihm die Staatsanwaltschaft Gießen vor, soll Jan P. Ayleen zwischen Cleeberg und Espa bei einem sexuellen Übergriff so lange gewürgt haben, bis sie verstorben sei.

Zwischen 4 und 5 Uhr soll er ihre Leiche im Teufelsee abgelegt haben. Zu Beginn der dreistündigen Videovernehmung vom 2. September 2022 fragt ihn die Kriminalbeamtin, was man um diese Uhrzeit an dem See gemacht haben könnte. Jan P. sagt nur: »Schwimmen.«

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