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So leben wir gemeinsam im Alter

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Vor sechs Jahren stand Renate Breiter vom Verein „Wohnen im Alter“ noch vor einem Maisfeld nahe dem Kreisel. Dort, wo sich jetzt das Bellevue in Karbens Stadtzentrum befindet, sollte ursprünglich das altersgerechte Haus für Senioren entstehen. Der Platz hat sich Richtung Nidda an die Ramonville-Straße verschoben, aber die Pläne für das Haus hat der Verein in die Realität umwandeln können. Vor rund einem Jahr sind die ersten Bewohner in das Wohnprojekt eingezogen, inzwischen sind alle Einheiten belegt.

Der Duft von frisch geschnittenem Gras liegt in der Luft, Lothar Kötter mäht gerade den Rasen. Der Garten ist angelegt, die Bäume benötigen allerdings Zeit zum Wachsen, dafür strecken schon die Frühlingsblumen ihre Köpfe heraus. Bänke laden zum Verweilen ein.

Neben Kötter kümmern sich Barbara Schwientek und Inge Kötter um den Garten. „Es gibt bei uns verschiedene Arbeitsgemeinschaften, der Garten ist eine davon“, erzählt Renate Breiter, Vorsitzende des Vereins „Wohnen im Alter“ (WiA).

Das Projekt des altersgerechten Wohnens ist Wirklichkeit geworden. 2005 gab es die ersten Ideen dazu. 2011 gründete sich der Verein, der sein Ziel stetig im Blick hatte. 2014 erfolgte der Spatenstich; nach 15 Monaten Bauzeit vermietete das Gemeinnützige Siedlungswerk Frankfurt (GSW) das L-förmige Haus in der Ramonville Straße 37 an die WiA-Mitglieder. Im Januar 2016 zogen die ersten Bewohner ein.

Im Schnitt 70 Jahre

Das Haus mit seinen 19 Wohnungen ist seit November vergangenen Jahres voll belegt. Sieben Ehepaare, zwei Männer sowie zehn Frauen – im Schnitt alle um die 70 Jahre – haben sich für das gemeinsame Wohnen in der Stadtmitte entschieden. „Nein, einfach war es nicht, das Haus für die neue Wohnung aufzugeben“, gibt Inge Beck zu. Doch sie und ihr Mann Henry hatten seit der Vereinsgründung viel Zeit, ihr neues Zuhause zu planen und mitzugestalten.

Denn jede der insgesamt 19 Wohnungen ist individuell und auf die Wünsche der Bewohner zugeschnitten. Für das Ehepaar Beck war der Umzug richtig. „Das Umdenken bei mir fing an, als meine eigene Mutter dement wurde“, erzählt die 67-Jährige. Sie setzte sich mit dem Gedanken des Älterwerdens auseinander. „Die Menschen in der unmittelbaren Umgebung werden ja auch immer älter“, sagt sie.

Einrichtung reduziert

Zuvor lebten sie in einem Haus mit rund 140 Quadratmetern Wohnfläche, jetzt sind es 87. „Wir haben nicht mehr so viele Möbel, sondern einiges reduziert, was aber sehr gut ist“, findet sie. Denn eigentlich brauche man gar nicht so viel.

Die Wohnung ist für sie perfekt, Bad, Gäste-WC, Flur, Schlafzimmer, Büro, Abstellkammer, offene Wohn-Küche und ein großzügiger Balkon. „Zudem haben wir ja noch einen Keller und einen Parkplatz vor dem Haus“, ergänzt Beck. Die Dusche im Bad ist eben, einen Griff zu Festhalten haben die Becks selbst eingebaut. „Wir konnten ja individuell entscheiden, wie wir was haben möchten. Die Toilette hängt zum Beispiel auch höher.“

„Das Schöne ist die Nähe zum Zentrum, man kann zu Fuß überall hin, auch wenn wir alle noch mit dem Auto mobil sind“, sagt die 67-Jährige. Alle Wohnungen bei WiA sind barrierefrei, der Aufzug ist so konzipiert, dass eine Krankentrage in der Länge hineingeht. Oder auch, so makaber das klingt, ein Sarg. „Auf behindertengerecht haben wir verzichtet, weil das mit wesentlich mehr Auflagen gewesen wäre“, berichtet Breiter, die die Wohnung oben über dem Ehepaar Beck gemietet hat.

Sie hat im Vergleich zu der unteren Einheit eine andere Raumaufteilung gewählt. Ihre Küche fällt kleiner aus, die 75-Jährige hat auf die Gästetoilette verzichtet und lieber ein Zimmer vom Wohnraum abgeteilt, wo sie ihr Büro hat.

„Wir haben Anfragen für weitere Wohnungen, aber damit können wir im Moment nicht dienen“, sagt Breiter. Das Besondere an dem Projekt sind aber nicht nur die Wohnungen selbst, es geht auch um die soziale Komponente: „Wir haben verschiedene Arbeitsgemeinschaften.

Einmal pro Woche essen wir alle zusammen im Gemeinschaftsraum. Außerdem gibt es Spieleabende und mehr“, erzählt Breiter. Das aktive Miteinander beuge die Einsamkeit im Alter vor, durch nachbarschaftliche Hilfe sei ein selbstbestimmtes Leben möglich. Brigitte Henkel (71) ist froh, dass sie und ihr Yorkshire-Dackel-Mix Amber dort leben. „Nachdem mein Mann gestorben ist, habe ich allein in einem Haus in Klein-Karben gelebt. Da waren auch viele Treppen“, erzählt sie. Auch wenn es ihr im neuen Zuhause gut gefalle, sei es ihr schwer gefallen, weil sie in Klein-Karben eine tolle Nachbarschaft hatte.

Ilse Dittrich lebte ebenfalls zuletzt allein in ihrem Haus: „Man muss ja realistisch sein. Einsamkeit im Alter ist keine Lösung.“ Aus ihrem alten Garten hat sie einige Pflanzen mitgenommen. „Ich habe zum Beispiel Waldmeister, Bärlauch, einige Bluebells eingesetzt, einen Ahorn und eine rote Zaubernuss. Das sind ein paar kleine Erinnerungen an das alte Haus, die einem am Herzen liegen“, erzählt sie.

Die hochbetagte Dame – ihr Alter mag sie nicht verraten – fotografiert leidenschaftlich gern, sie ist auch Mitglied im Karbener Fotoclub. Ein Teil ihrer Bilder hängt derzeit auf allen Ebenen im Treppenhaus, ein Mix aus Stillleben, Landschaften und Schwarz-Weiß-Motiven mit regionalem Hintergrund.

Geplant sind künftig gemeinsame Projekte unter anderem mit dem Arbeiter-Samariter-Bund zwei Häuser weiter, von denen beide Seiten profitieren. Der Gemeinsinn im Haus ist erwünscht.

Miteinander zwanglos

Dennoch besteht kein Zwang, an allen Aktivitäten teilnehmen zu müssen. „Wir haben hier allerdings so ein tolles Miteinander. Wenn ich irgendwo einen Termin habe, muss ich jetzt allerdings die Wohnung zehn Minuten früher verlassen, weil man immer jemanden trifft, mit dem man noch ein Schwätzchen hält“, erzählt sie und lächelt.

„Oder, wenn man eben nur mal schnell Kartoffeln aus dem Keller holen will“, ergänzt Beck und lacht. Damit die Konstellation im Haus auch passt, mussten sich die potenziellen Mieter, die alle Mitglied im Verein sind, bei WiA bewerben. „Es hat sogar schon eine Hochzeit im Haus gegeben“, erzählt Renate Breiter schmunzelnd.

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