Einst ein Gefängnis in Groß-Karben

Eine kürzlich im Darmstädter Staatsarchiv entdeckte Akte gibt Aufschluss darüber, warum es Groß-Karben im 19. Jahrhundert ein Gefängnis gab. Es ist auch einiges darüber überliefert, welche Zustände hinter den Gittern herrschten. So gab es den Selbstmord eines Gefangenen und anderen gelang die Flucht.
I m Jahr 1821 werden im Großherzogtum Hessen Neueinteilungen vollzogen. Groß-Karben als seinerzeit gut gestelltes Dorf profitiert davon. Zwar ist man dem Großherzoglich Hessischen Landratsbezirk Vilbel unterstellt, bekommt aber die Führung des Gerichtswesens zugesprochen. Das Landgericht Groß-Karben besitzt somit die Verfügungsgewalt in vielen rechtlichen Belangen und behält sie bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bei.
Ganz ohne Pflichten geht dieser Aufstieg jedoch nicht einher. Wie alle anderen Gerichtsorte im Großherzogtum braucht auch Groß-Karben ein geeignetes Gefängnis. Doch das muss erst noch gebaut werden. Ein Bauplatz mit günstiger Lage befindet sich in der Östlichen Ringstraße. Die Honoratioren, Landrat Seitz in Vilbel und der Groß-Karbener Amtmann Hennemann, erbitten bei der Großherzoglichen Hauptstaatskasse »140 Gulden für 100 neue Klafter Land«.
Baubeginn im Jahr 1825
Diese Unterstützung wird ihnen anstandslos gewährt, sodass der Bau des Gefängnisgebäudes im zweiten Halbjahr 1825 beginnen kann. Unter einem günstigen Stern scheint das Projekt jedoch von Anfang nicht zu stehen. Eher müsste man die Ereignisse wohl in die Kategorie Pleiten, Pech und Pannen einsortieren. Eine kürzlich entdeckte Akte im Staatsarchiv Darmstadt gibt Aufschluss über die Geschichte des Groß-Karbener Gefängnisses.
Ein Jahr nach der offiziellen Inbetriebnahme kommt ein brisanter Fall an die Öffentlichkeit: Gottfried Deckenbach, ein 25-jähriger Dieb aus Ranstadt, hat sich in seiner Zelle mithilfe seines Schnürsenkels an einem eisernen Ofengitter erhängt. Dieses Vorkommnis wirft umgehend Fragen zu den Sicherheitsstandards in dem gerade erst gebauten Provinzialgefängnis auf. Ende August 1826 berichtet Hofkammerrat Johann Philipp Hofmann an die Großherzogliche Regierung in Gießen, dass das Gebäude in Groß-Karben »nach den Vorschriften der Oberbau-Direction construirt« sei. »Es wird übrigens schwerfallen eine solche Einrichtung zu treffen, wodurch dem Selbstmord gänzlich vorgebogen wird, in dem dies nur durch eine kostspielige Construction der Wände u. Mauern möglich wird«, gibt er zu bedenken.
Eine der höchsten Stellen im Land, das Ministerium des Innern und der Justiz in Darmstadt, verfügt ein weiteres Jahr später die Abänderung des Arresthauses in ein zweistöckiges Gebäude mit Gefangenenwärterwohnung. Die Zellen sollen in den zweiten Stock verlegt werden. Nur zwei Jahre sind bis dahin von der Erbauung bis zu dem geforderten Umbau vergangen.
Immer häufiger gelingt Gefangenen die Flucht aus dem Arresthaus. Einer von ihnen ist ein gewisser Heinrich Ritzel aus Gelnhaar, der als äußerst gefährlich eingestuft wird. Von mangelhaften Schlössern und fehlender Aufsicht ist die Rede. Die Bitte um einen speziell für Groß-Karben zuständigen Gefängnisaufseher wird dennoch abschlägig beschieden.
Strohsäcke und ein fester »Leibstuhl«
Der örtliche Landgerichtsdiener soll »gegen den Genuß der freien Wohnung« diese Zusatzaufgabe übernehmen. Ist dieser in Amtsgeschäften unterwegs, kümmern sich ein »geeigneter junger Mensch« oder die Mutter des Gerichtsdieners um die Inhaftierten. Für zwölf neue Schlösser sorgt das Zuchthaus Marienschloss bei Rockenberg. Neue Pritschen gibt es außerdem, obwohl einige Sachverständige der Meinung sind, das lichtscheue Gesindel könne auch auf Strohsäcken schlafen. Durch einen von Kammerrat Hofmann angeschafften festen Leibstuhl gibt es zumindest im sanitären Bereich eine kleine Verbesserung. Vorher wurden die »Geschäfte« in Nachttöpfe verrichtet und dann jeden Morgen draußen vor der Tür entleert. Am 12. März 1837 werde verschiedene Handwerksarbeiten »zum Bau eines neuen Wacht- und Spritzenhauses« von Bürgermeister Werner vergeben. Insgesamt lobt die Gemeinde Groß-Karben 1586 Gulden und 51 Kreuzer an die Wenigstnehmenden aus. Eine Zeitungsannonce, vermutlich aus dem Vilbeler Anzeiger, belegt dies eindeutig. Bisher war man der Meinung, dass das Haus erst mit Gründung der Freiwilligen Feuerwehr im August 1893 zum Spritzenhaus erweitert worden sei. Von dieser Zweitfunktion kündet noch heute der Turm, in dem die Schläuche zum Trocknen aufgehängt wurden. Ein vergittertes Fenster rechts unten in der Fassade erinnert dagegen an die weniger ruhmreiche Geschichte als Gefängnis. Auch der ehemalige, jetzt vermauerte Eingang ist seitlich noch erkennbar.
Noch zu Amtszeiten Detlev Engels, im Frühjahr 1999, wurde das Gebäude von der Stadt an die Wohnungsbaugesellschaft Karben verkauft. Der Kaufpreis betrug 150 000 DM für 270 Quadratmeter. Die Freifläche vor dem Haus ist städtisch geblieben.
