Vorsicht vorm Sprung ins kühle Nass

Der Karbener Professor Roland Prinzinger (75) hat sein gesamtes Leben zu Herz und Atmung geforscht. Im Interview erklärt er das Herz-Kreislauf-Versagen beim plötzlichen Badetod.
Prof. Prinzinger, immer wieder hört man in letzter Zeit in den Nachrichten, dass Menschen - auch junge, sportlich trainierte - beim Baden plötzlich untergehen und sterben. Vergangenes Jahr zählte die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) mindestens 355 solch tödlicher Badeunfälle. Als Ursache wird meist »Herz-Kreislauf-Versagen« genannt...
…und das ist zweifelsohne richtig. Nur sagt es noch nichts über die eigentliche Ursache dieses Versagens aus. Die entscheidende Frage ist doch: Wie kam es denn zum Herz-Kreislauf-Versagen?
Sie führen dafür die sogenannte Taucherbradykardie ins Spiel. Worum handelt es sich bei diesem Phänomen, das auch eines der Themen ihrer Arbeiten an der Universität war?
Es handelt sich dabei um einen elementaren Schutzreflex, der automatisch in Sekundenbruchteilen abläuft. Wenn wir mit unserem Kopf unvorbereitet in kaltes Wasser eintauchen, setzt sofort die Atmung aus (Apnoe) und die Herzfrequenz wird bis auf die Hälfte gesenkt (Bradykardie). Auf dem gleichen Reflex beruht ein Phänomen, das wir alle kennen: Wenn wir im Winter aus dem Warmen in die kalte Luft treten, bleibt uns wortwörtlich der Atem weg.
Haben nicht auch Babys diesen Reflex? Ich meine, nach der Geburt meines Sohnes darüber gelesen zu haben…
Genau. Diesen überlebensnotwendigen Reflex zeigen alle Säugetiere und Vögel schon von Geburt an. Deswegen ist beispielsweise eine Wassergeburt möglich. Das Neugeborene stoppt ganz automatisch die Atmung, um zu verhindern, dass Wasser beim Eintauchen in die Lunge gelangt. Wichtig ist, dass Reflexe nicht abstellbar sind. Wir können den Ablauf dieser Reaktionen unseres Körpers nicht verhindern und höchstens ihre Gefahr verringern.
Das klingt nach einer sinnvollen Einrichtung der Natur. Worin genau liegt dann die Gefahr?
Für gesunde Menschen ist die Taucherbradykardie in der Tat zunächst kein Problem. Ich habe das oft in meiner Experimentalvorlesung gezeigt, indem ich einen Studenten als Freiwilligen aus einer Ruhelage heraus plötzlich den Kopf in kaltes Wasser habe tauchen lassen. Die Herzströme wurden parallel für alle sichtbar auf Leinwand projiziert.
Gefährlich ist die Taucherbradykardie aber, wenn man in Panik gerät sowie bei einer nicht bekannten Vorschädigung des Herzens. Denn wir haben hier eine enorme Belastung für das Kreislaufsystem: Die Herzfrequenz sinkt dramatisch, zusätzlich ziehen sich die äußeren Hautgefäße zusammen, das Blut geht ins Innere des Körpers, wo dadurch ein erhöhter Blutdruck herrscht. Das alles belastet das Herz enorm. Gleichzeitig fehlt dem Herzen der notwendige Sauerstoff durch den Atemstillstand. Bei einer solchen Überlastung des Systems kann es dann zum plötzlichen Herztod kommen. Dazu kommt oft, dass Betroffene in Panik den Überblick über oben und unten verlieren. Taucht man dagegen normal auf, kann die Bradykardie folgenlos zurückgehen.
Gibt es bestimmte Risikogruppen?
Der plötzliche Herztod durch Bradykardie tritt in allen Altersstufen prinzipiell etwa gleich häufig auf. Bei jüngeren Menschen - gerade bei jungen Männern - kommt allerdings oft Leichtsinn hinzu, weswegen sie häufiger betroffen sind.
Was hilft dagegen? Eine Abkühlung im Vorfeld?
Ja, das ist ein sehr vernünftiges Verhalten. Dabei wird jedoch natürlich nicht die gesamte Körpertemperatur abgesenkt, es geht vielmehr um ein Vorbereiten der Temperatursensoren auf die plötzliche Kälte. Durch Benetzen von Gesicht und Armen mit kaltem Wasser wird signalisiert: »Keine Angst, gleich wird es kühl.« Wichtig ist aber: Die Taucherbradykardie kann nicht nur beim ersten Sprung ins Wasser auftreten, sondern beispielsweise auch, wenn nach einer vorangehenden Schwimmphase in warmem Wasser plötzlich abgetaucht wird. Denn die Temperatur in einem natürlichen Badesee ist klar zoniert und ändert sich nach unten schon nach wenigen Zentimetern merklich Richtung kalt.
Was bedeutet das?
Schon scheinbar warmes Wasser kann ab 30 Zentimetern Wassertiefe »kalt« sein, das gilt es, beim Tauchen zu beachten! Die HR-Fernsehsendung »Alle Wetter« hat es vor einigen Tagen dargestellt: Wenn an der Wasseroberfläche 20 bis 23 Grad Celsius herrschen, sind es bei 20 bis 30 Zentimetern nur noch 18 bis 20 Grad, bei über 80 Zentimetern Tiefe können es sogar nur zehn Grad sein. Ein Kopfsprung in die Tiefe kann also einen lebensgefährlichen Schock auslösen.
Also geht man besser ins Schwimmbad?
Im Schwimmbad ist die Temperatur im gesamten Becken tatsächlich einheitlich kaum unter 18 bis 20 Grad Celsius. Da besteht die Gefahr der Bradykardie nicht. Und: Es ist ein Schwimmmeister vor Ort - das haben die wenigsten Badeseen. Nichtsdestotrotz: Ich möchte für das Thema sensibilisieren, von dem Baden im See abraten will ich jedoch nicht! Bei vernünftigem Verhalten ist das Risiko insgesamt gering.
Gibt es über diese vorbereitenden Spritzer hinaus Wege, um den plötzlichen Herztod zu vermeiden?
Den plötzlichen Herztod vermeidet man am ehesten, indem man bei Herz- und Kreislauferkrankungen plötzliche Temperaturwechsel vermeidet und insgesamt für seine körperliche Fitness sorgt.