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Kennen Sie schon die "Gärten des Grauens"?

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Von: Judith Seipel

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"Die meisten Menschen scheinen die Natur für eine ausgesprochene Schlamperei zu halten", sagt der Dokumentarfilmer Dieter Wieland in seinem Film "Grün kaputt" über Landschaft und Gärten der Deutschen aus dem Jahr 1983. Damals ahnte er vermutlich nicht, dass Blaufichten und "Zwergwacholderraketen" auf akkurat getrimmtem Rasen noch nicht das Ende der Feindseligkeit gegenüber Bäumen, Sträuchern und Blumen in deutschen Vorgärten sind.

Es geht in der Tat noch radikaler: Schottergärten. Die machen jedem Grün den Garaus. Man sieht sie jetzt in den Neubaugebieten. Kein Blatt. Kein Halm. Nichts. Nur Steine. Und weil das dann vielleicht doch ein wenig öd ist, färbt man Steine ein oder setzt alberne Plastikfiguren hinein. Sie können sich das nicht vorstellen? Dann sei Ihnen die Facebook-Seite "Gärten des Grauens" empfohlen. Sie werden staunen!*"Schottergärten sind tote Flächen. Sie lassen kein Regenwasser versickern, sie bieten Insekten keine Nahrung, Kleintieren keinen Lebensraum und keine Verstecke. Vögel finden dort keine Raupen. Weder wird Kohlendioxid eingebaut noch Sauerstoff erzeugt", sagt Alfred Leiß aus Bindsachsen, Vorsitzender des Naturschutzbeirates des Wetteraukreises, dem die Steinwüsten ein Ärgernis sind. Die Besitzer solcher lebensfeindlicher Flächen "outen sich auf peinliche Weise", findet Leiß, "sie zeigen, dass sie natürliche Kreisläufe und ineinander verwobenes Naturgeschehen nicht verstehen oder es bewusst missachten". *Dass der Nabu Wetterau um jeden Quadratmeter Blumenwiese ringt, kostenloses Saatgut verteilt und in einer Broschüre Tipps für eine artenreiche Gartengestaltung gibt, geschieht ja nicht aus Jux und Dollerei. Insektensterben und Artenverarmung sind "katastrophal"und schreiten ungebremst voran, mahnt Leiß.*Für Manfred Vogt, der die Kampagne "Artenreiche Blumenwiese" des Nabu-Kreisverbandes mit angestoßen hat, sind diese "Friedhofsgärten", wie er sie nennt, "ökologische Steinzeit". Der Mensch habe sich von der Natur, die ihn umgibt, entfremdet. "Natur im Urlaubsgebiet reicht. Der Trend geht zum Ready-Made-Garten, in dem alles so bleiben soll, wie es ist. Dass die Natur wild wachsen und wuchern kann, wird nicht zugelassen." Hinzu komme der Verlust der gärtnerischen Tradition. Dabei hätten gerade Vorgärten und kleine grüne Flächen eine besondere Bedeutung für Klima und Artenvielfalt in der Stadt. "Sie bilden ökologische Trittsteine für Insekten und Vögel, die sich von Trittstein zu Trittstein fortbewegen und dort Nahrung finden können", erklärt Vogt, Vorsitzender der Nabu-Gruppe Limeshain. *"Gruselig" findet auch Kerstin Renner, Landschaftsarchitektin aus Stockheim, die Schottergärten. "Wird Teichfolie mit eingebaut, ist die Fläche versiegelt und für die Natur unbrauchbar." Und pflegeleicht seien sie schon gar nicht. "Auf der Folie sammeln sich Samen und mit der Zeit bildet sich eine organische Schicht, sodass das Ganze nach ein paar Jahren ausgetauscht werden muss." Wer einen pflegeleichten Garten, der dennoch ökologisch wertvoll ist, anlegen möchte, sollte "einheimische Pflanzen verwenden, Pflanzen, die sehr zeitig und sehr spät blühen - wegen der Bienen und Hummeln, Wildsträucher mit Dornen für die Vögel", sagt Kerstin Renner. "Wenn man den Garten viel benutzt, würde ich nur Teile als Blumenwiese anlegen oder Inseln beim Mähen stehen lassen. Aus den Fugen wachsen ein paar Walderdbeeren, wenn man Lust hat, kann man noch ein paar Himbeerruten und Johannisbeersträucher anpflanzen. Eine Feige sollte auch nicht fehlen."*Kommen wir zurück zum Entree, dem Vorgarten. Wer mag eigentlich durch eine Steinwüste laufen, wenn er heimkommt? "Ein gelungener Vorgarten sollte ein schönes Nachhausekommen ermöglichen", sagt Kerstin Renner. "Für mich gehört ein Hausbaum dazu, unter dessen Blätterdach oder Blütenzweigen man zur Haustür geht. Eine Bank, ein paar Kräuter, schöne, duftende Blüten ..." *Übrigens: "Schottergärten haben mit den liebevoll angelegten Steingärten unserer Großmütter nichts zu tun", so die Expertin. "Im Garten Kölsch in Büdingen sieht man, wie ein Zusammenspiel aus Pflanzen und Steinen mit unterschiedlichen Themen, jahreszeitlichen Schwerpunkten, verschiedenen Räumen und Sitzplätzen funktionieren kann."*Vielleicht unternehmen Sie einen Frühlingsspaziergang und holen sich ein paar Anregungen für Ihr eigenes Naturparadies. Schönes Wochenende.

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